
Kurz: Großbritannien verlässt die EU, nicht aber Europa
Großes Bedauern im EU-Hauptausschuss über Brexit, Abgeordnete für möglichst enge Partnerschaft
Wien (PK) – Im heutigen EU-Hauptausschuss, der im Vorfeld des
Sondergipfels am kommenden Sonntag zum Brexit stattfand, waren sich
alle einig, dass der Austritt Großbritanniens einen Schaden sowohl
für das Land selbst als auch für die EU darstellt. Man verliere mehr
als einen Nettozahler, so der Tenor, auch wenn sich das Land manchmal
als ein Bremser im Hinblick auf die Integration gezeigt habe. Sorgen
wurden vor allem in Bezug auf die in Großbritannien lebenden
EU-BürgerInnen geäußert, zudem stehen Befürchtungen im Raum, wonach
der Inselstaat den Weg eines aggressiven Wettbewerbs und einer
Steueroase gehen könnte. Das Austrittsabkommen enthalte Bestimmungen,
um das möglichst auszuschließen, betonte dazu Bundeskanzler Sebastian
Kurz.
Kurz zum Austrittsabkommen: Bin jetzt optimistischer als noch vor
einigen Wochen
Der Kanzler zeigte sich noch immer optimistisch – deutlich
optimistischer als noch vor ein paar Wochen, wie er sagte -, dass der
Deal durchzubringen ist, auch wenn die Situation in Großbritannien
nicht einschätzbar sei. Es sei gelungen, ein faires Austrittsabkommen
zustande zu bringen, die politische Erklärung über das zukünftige
Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU sei detaillierter
ausgefallen als von der EU erhofft. Das Abkommen bezeichneten Kurz
und Kanzleramtsminister Blümel als einen guten Kompromiss, die
Guidelines würden eine gute Basis für eine hoffentlich enge und
dauernde Partnerschaft darstellen.
Auch was die noch offene Gibraltar-Frage betrifft, so äußerte sich
die Regierungsspitze zuversichtlich, noch vor dem Sonntag eine Lösung
zu finden. Blümel stellte zudem klar, dass Spanien nicht darauf
gepocht habe, das Verhandlungspaket aufzumachen. Außerdem ist für die
Zustimmung eine qualifizierte Mehrheit und nicht die Einstimmigkeit
notwendig.
Ein weiteres Referendum schloss der Bundeskanzler aus. Diese
Diskussion werde eher in der EU und in den Medien geführt, nicht aber
in Großbritannien. Außerdem stelle sich die Frage, worüber abgestimmt
werden sollte, entweder lege man die gleiche Frage wie vor zwei
Jahren noch einmal vor, oder man lasse über den Deal, bzw. über ein
Notszenario abstimmen.
Lob für Verhandlungsführung, vor allem für Michel Barnier
Großes Lob gab es von allen Seiten für den Brexit-Chefverhandler
Michel Barnier, der mit seiner transparenten Verhandlungsführung und
Informationspolitik entscheidend zum Erfolg beigetragen habe.
Wesentliche Voraussetzung sei zudem gewesen, dass das Mandat des
Rates für die Kommission sehr klar gewesen und die 27 Mitgliedstaaten
immer einhellig vorgegangen seien. Die österreichische
Ratspräsidentschaft habe Barnier bei seiner Aufgabe tatkräftig
unterstützt, so Bundeskanzler Kurz und EU-Minister Blümel.
In der Debatte war in diesem Punkt auch kaum Kritik an der
Vorsitzführung zu vernehmen. Reinhold Lopatka (ÖVP), Erwin Angerer
(FPÖ) und Johann Gudenus (FPÖ) attestierten der Regierung
professionelles Vorgehen. Claudia Gamon von den NEOS hob die enge
Einbindung des Nationalrats in Form von Aussprachen mit dem
österreichischen Delegierten bei den Brexit-Verhandlungen, Gregor
Schusterschitz, sowie mit Michel Barnier positiv hervor.
Man wird mit einem starken Wettbewerb rechnen müssen
Mit dem Austritt Großbritanniens geht mehr verloren als ein
Nettozahler, gab Reinhold Lopatka (ÖVP) zu bedenken und verdeutlichte
dies mit dem Hinweis, dass die 17 schwächsten Mitgliedstaaten der EU
die gleiche Wirtschaftsleistung wie Großbritannien haben. Aber nicht
nur das, Großbritannien habe auch einen bestimmten Geist in die EU
eingebracht und mit seiner Korrektheit, Zielgerichtetheit und
Vehemenz ein gutes Gegengewicht zu manch anderen Haltungsweisen in
der EU abgegeben, zeigte sich Jörg Leichtfried (SPÖ) mit Lopatka
einer Meinung. Großbritannien sei einer der zwei Staaten innerhalb
der EU, der auch militärische Präsenz außerhalb seiner Grenzen
bewirken könne, stellte Leichtfried fest. Wenn man heute über eine
gemeinsame EU-Armee nachdenkt, dann wäre Großbritannien ein wichtiger
Teil davon. In gleicher Weise bedauerten Claudia Gamon (NEOS) und
Bruno Rossmann (JETZT) explizit die Entscheidung der Briten, die EU
verlassen zu wollen, auch wenn sich das Land in Fragen der
Integration manchmal als Bremser erwiesen habe, sagte Gamon.
Die Abgeordneten Johann Gudenus und Bruno Rossmann gingen näher auf
das zukünftige Verhältnis der Briten zur EU ein, worauf Bundeskanzler
Sebastian Kurz feststellte, die Partnerschaft werde weiter eng sein.
Man strebe eine Freihandelszone an, außerdem werde Großbritannien an
verschiedenen EU-Programmen teilnehmen. Er geht davon aus, dass auch
die kulturelle, militärische, aber auch menschliche Zusammenarbeit
eng bleibt und stellte fest: „Großbritannien verlässt die EU, nicht
aber Europa“.
Angesprochen, ob Österreich auf einen harten Brexit vorbereitet ist,
meinte Kurz gegenüber Jörg Leichtfried (SPÖ), Kai Jan Krainer (SPÖ)
und Bruno Rossmann (JETZT), man sei sehr wohl auf alternative
Szenarien vorbereitet, wolle dies aber medial nicht breit treten, um
etwaige Verunsicherungen zu vermeiden. Betreffen würden allfällige
Maßnahmen vor allem das Innenministerium (Staatsbürgerschaften), die
Luftfahrt und Zollfragen. Auf EU-Ebene sei eine Brexit-Lenkungsgruppe
eingerichtet worden, eine solche gebe es auch in Österreich.
Insbesondere habe man die in Großbritannien lebenden
ÖsterreicherInnen im Auge. Eine direkte Schlechterstellung sollte es
nicht geben, gegebenenfalls werde man nationale Nachschärfungen
vornehmen, etwa mit dem Instrument einer doppelten
Staatsbürgerschaft, so der Kanzler.
In diesem Zusammenhang äußerte auch Josef Muchitsch (SPÖ) Sorgen,
dass Großbritannien den Weg eines unfairen Wettbewerbs beschreiten
könnte, was sich für den Arbeitsmarkt in Europa negativ auswirken
würde. Diese Bedenken teilte der Bundeskanzler, indem er darauf
hinwies, dass die Brexit-Befürworter die Auffassung vertreten, ihr
Land könne dann wieder selbst bestimmen, um freier und erfolgreicher
im Wettbewerb mit Europa stehen zu können. Das Austrittsabkommen
enthalte daher Bestimmungen zu den Bereichen Umwelt, Soziales und
Steuerdumping, um einen derartig unfairen Wettbewerb möglichst
auszuschließen. Dennoch müsse man mit einem starken Wettbewerb
rechnen, sagte er, wobei diese Frage nicht einseitig betrachtet
werden könne, denn beispielsweise seien die Banken weiterhin an einer
engen Verbindung mit der EU interessiert. Man werde auch alles
unternehmen, um einen möglichen „Steuersumpf und regulatorischen
Sumpf vor der Haustür“, wie dies Kai Jan Krainer formuliert hatte,
vorzubeugen.
Was den mittelfristigen Finanzrahmen betrifft, so sei Großbritannien
derzeit nicht mehr berücksichtigt, erklärte Kanzleramtsminister
Gernot Blümel gegenüber Claudia Gamon (NEOS). Sollte die
Übergangsfrist jedoch verlängert werden, dann werden man
Adaptierungen vornehmen und Großbritannien adäquat ins EU-Budget
einzahlen müssen, sagte er. (Schluss EU-Hauptausschuss) jan
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