
Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 4. Dezember 2018; Leitartikel von Mario Zenhäusern: „Blaue Grenzverletzung“
Innsbruck (OTS) – Drasenhofen steht beispielhaft für den Asyl-Kurs
der FPÖ, die bewusst provoziert und sich nicht scheut, die Grenze des
Gerade-noch-Erträglichen zu verletzen. Die türkis-schwarze
Regierungsspitze duldete das bisher. Wie lange noch?
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zog
am Freitag der Vorwoche einen vorläufigen Schlussstrich unter ein
besonders düsteres Kapitel der österreichischen Asylpolitik. Gegen
den Willen des verantwortlichen Landesrats Gottfried Waldhäusl (FPÖ)
ließ sie ein umstrittenes Quartier für minderjährige Asylwerber in
Drasenhofen räumen. Zuvor hatte die Kinder- und Jugendanwaltschaft
Niederösterreich das Gebäude als „aus jugendrechtlicher Sicht im
derzeitigen Zustand nicht geeignet“ bezeichnet. In sozialen
Netzwerken heißt das Asyl-Quartier inzwischen „Alcatrazenhofen“.
Niemand kann ernsthaft dagegen sein, kriminelle Asylwerber wie
Kriminelle zu behandeln. Werden diese Maßstäbe aber auch bei
minderjährigen „Unruhestiftern“ angelegt, wird Protest zur Pflicht.
Weite Teile der FPÖ haben trotzdem kein Problem mit Waldhäusls
Kurs. Im Gegenteil. Minderjährige wie Gefangene in unzulänglichen,
mit Stacheldraht umzäunten und von Hunden bewachten Quartieren
wegzusperren, ist für Niederösterreichs FPÖ-Obmann Udo Landbauer
„ein Vorzeigeprojekt für die Unterbringung auffälliger Asylwerber“.
Innenminister Kickl schließlich höhnte, dass am Land ohnedies fast
jede Liegenschaft einen Zaun habe, und für den Tiroler
FPÖ-Nationalrat Peter Wurm hätte diese Art der Unterbringung
„möglicherweise auch in Tirol einen bestialischen Mord an einem
jungen und unschuldigen Menschen verhindert.“
Drasenhofen steht symptomatisch für den FPÖ-Kurs in der
Asylpolitik. Wer Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen nach
Österreich gekommen oder hier gestrandet sind und um Asyl ersuchen,
per se als „Unruhestifter“ oder „Eindringlinge“, jedenfalls aber als
„unerwünschte Personen“ betrachtet, der hat auch mit dem umstrittenen
Heim kein Problem.
Bisher ließ die türkis-schwarze Spitze die blauen Ausrutscher
meist unkommentiert – wissend, dass eine härtere Linie in Asylfragen
den eigenen Beliebtheitswerten vorerst nicht schadet. Aber wie lange
kann sich die ÖVP das noch leisten angesichts einer FPÖ, die bewusst
provoziert und sich nicht scheut, die Grenze des
Gerade-noch-Erträglichen zu verletzen? Schließlich markieren die
Wahrung des Rechtsstaates und die Einhaltung der Menschenrechte auch
für die Bundesregierung eine rote Linie.
Drasenhofen könnte indes einen Wendepunkt im bisher eisern
eingehaltenen Nichtangriffspakt zwischen ÖVP und FPÖ darstellen.
Immerhin hat mit Mikl-Leitner eine Kurz-Vertraute die Blauen
zurückgepfiffen.
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