
OÖNachrichten-Leitartikel: „Machiavelli-Lehrstunde“, von Wolfgang Braun
OÖNachrichten vom 7. Dezember 2018
Linz (OTS) – Am Mittwoch haben die Spitzen der Koalition wieder
einmal alles auffahren lassen, was an Inszenierung möglich war.
Angekündigt war die Präsentation eines „Pflege-Masterplans“ – doch
wer sich handfeste Inhalte, Zahlen und Strategien gewünscht hat,
wurde enttäuscht. „Wir haben beschlossen, im nächsten Jahr etwas zu
beschließen“ – so könnte eine Zusammenfassung der Pressekonferenz von
Kanzler, Vizekanzler und Sozialministerin lauten. Und das wäre nicht
boshaft, sondern treffend.
Nicht auszudenken, wie viel beißenden Spott sich die
Vorgänger-Regierung mit so einem Auftritt eingehandelt hätte.
Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass es SPÖ und ÖVP in ihrer
Koalition sogar schafften, respektable
Ergebnisse wie die Steuerreform 2016 so lange gegenseitig zu zerreden
und madig zu machen, dass keine Werbeagentur der Welt das Produkt
mehr hätte retten
können.
Diesen Reibungsverlust gibt es bei ÖVP und FPÖ nicht, und das ist für
viele Bürger verständlicherweise wohltuend. Man sollte den Respekt,
mit dem die Partner einander in diesem ersten Jahr behandelt haben,
nicht kleinreden. Er ist ein Zeichen von Professionalität – und er
ist, wie das Beispiel Rot-Schwarz lange Jahre zeigte, nicht
selbstverständlich.
Das Gesicht dieser Regierung ist zweifellos Bundeskanzler Sebastian
Kurz (VP). Seine Beliebtheitswerte bilden einen Schild für die
Koalition. Er bewegt sich auf der politischen Bühne, als hätte er bei
der Nationalratswahl nicht 31, sondern 47 Prozent erreicht – und das
prägt auch seine Wirkung. Faszinierend ist immer noch, wie er die
notorisch unzufriedene Volkspartei domestiziert hat und mit einem
kleinen Kreis an Getreuen Regierung, Partei und Land lenkt.
Machttaktisch ist das brillant – den
Machiavelli hat Kurz intus wie schon lange keiner in Österreich. Das
vernebelt auch, dass die Substanz dieser Regierung in den ersten
zwölf Monaten mit der Inszenierung keineswegs Schritt halten konnte.
Inhaltlich ist die Bilanz durchwachsen. Das Aus für das generelle
Rauchverbot in der Gastronomie war ein gesundheitspolitischer
Zynismus, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Die
Sozialversicherungsfusion – von der Regierung als größte Reform der
Zweiten Republik etikettiert – ist ein Blindflug, bei dem einzig die
Umfärbung der Gremien als Ergebnis greifbar ist. Dazu ein wenig
Arbeitszeitflexibilisierung, dafür kein Anrühren des Pensionssystems,
mehr für Familien, aber weniger Mindestsicherung. Das ist alles nicht
spektakulär, sondern ziemlich durchschnittlich.
Was diese Regierung jedoch wirklich von anderen abhebt, ist die
Vehemenz, mit der man ein einziges Thema als Leitmotiv forciert:
Migration, Asyl, Zuwanderung. Kurz hat sich hier als Hardliner
positioniert, damit der FPÖ viel Wasser abgegraben und bei den
Wählern den Nerv getroffen.
Die restriktive Migrationspolitik ist zum Markenzeichen dieser
Koalition geworden und zur Allzweckwaffe. Martialische Übungen an
Österreichs Südgrenze, Kopftuchverbot in Volksschulen – ÖVP und FPÖ
spielen diese Karte in allen Facetten. Parallel dazu ist aber auch
eine außenpolitische Neujustierung im Gange, die international
aufmerksam registriert wird. Kurz behandelt zum Beispiel Viktor
Orbán, der Ungarn mit einem autokratischen Kurs führt, auffällig
wohlwollend.
Im Windschatten dieser Entwicklung hat die FPÖ begonnen, die Grenzen
des Möglichen auszutesten, und das nicht nur in der Unterwelt der
sozialen Medien. Innenminister Herbert Kickl hat das Bundesamt für
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) ins Visier
genommen. Landesrat Elmar Podgorschek referierte vor der AfD in
Thüringen über Zellen, die ausgetrocknet werden müssen. Der
niederösterreichische FP-Landesrat Gottfried Waldhäusl wälzte
Lagerpläne. Und in Oberösterreichs Landtag stellte diese Woche ein
blauer Mandatar gleich die Überlegung an, ob Höchstgerichte
angesichts mancher Entscheidungen noch „zeitgemäß“sind.
Besonders letzterer Gedanke ist gruslig, weil er an den Grundfesten
der Demokratie rüttelt. Aber solche Ausritte sind keine Einzelfälle
mehr, sondern Zeichen einer Zeit, in der der Ton härter wird. Kurz
ist auf dieser Welle nach oben gesurft. Sie wieder einzufangen, wäre
politisch die viel größere Kunst.
Oberösterreichische Nachrichten
Chef vom Dienst
+43-732-7805-515
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender