
Anerkennung der Roma vor 25 Jahren als Meilenstein österreichischerRechtsgeschichte
Rudolf Sarközi als Motor der Anerkennung hervorgehoben; österreichische Roma-Politik beispielgebend
Wien (PK) – Bei der heutigen Matinee aus Anlass des 25-jährigen
Jubiläums der Anerkennung der Roma als Volksgruppe im Plenarsaal des
Parlaments zog der wissenschaftliche Leiter des Dokumentationsarchivs
des Österreichischen Widerstands, Gerhard Baumgartner, in seinem
Festvortrag Bilanz über die jüngere Geschichte der Volksgruppe. Nach
einer Einleitung durch Bundesratspräsidentin Inge Posch-Gruska und
Ansprachen von Emmerich Gärtner-Horvath, dem Vorsitzenden des
Volksgruppenbeirats der Roma, und von Christian Klippl, Obmann des
Kulturvereins österreichischer Roma, hielt Nationalratspräsident
Wolfgang Sobotka die Schlussworte.
Die österreichischen Roma- und Sinti-Gruppen wurden am 16. Dezember
1993 durch einstimmigen Beschluss im Hauptausschuss des Nationalrates
anerkannt. Die Bezeichnung „Volksgruppe der Roma“ gilt als
Oberbegriff für die verschiedenen in Österreich lebenden autochthonen
Untergruppen. Gerhard Baumgartner erinnerte daran, dass am 16.
Dezember 2018 nicht nur der 25. Jahrestag der Anerkennung der
Volksgruppe der Roma als sechste österreichische Minderheit gefeiert
werde, sondern am 10. Dezember der 70. Jahrestag der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte begangen worden ist.
Endpunkt einer mehrere hundert Jahre dauernden Verfolgungsgeschichte
Baumgartner bezeichnete die Anerkennung der Roma als „Meilenstein in
der österreichischen Rechtsgeschichte“, als Endpunkt einer mehrere
hundert Jahre dauernden Verfolgungsgeschichte, als Höhepunkt
österreichischer Minderheitenpolitik und als Beginn einer
„europäischen Erfolgsgeschichte österreichischer Roma-Politik“. Bis
dahin hatten Verfassungsjuristen den Roma und Sinti die Anerkennung
als Volksgruppe verweigert, weil es ihnen an einer „dauerhaften
Bindung an ein Territorium der Republik Österreich mangle“ und weil
sie „keinerlei Selbstorganisation“ besäßen.
Das Blatt wendete sich, als Siedlungskurkunden der burgenländischen
Roma aus dem Jahr 1674 beigebracht wurden und als am 15. Juli 1989
der „Verein Roma“ in Oberwart gegründet wurde. Vor allem Rudolf
Sarközi betrieb die Anerkennung der Roma und Sinti intensiv. „Er war
der rechte Mann am rechten Ort zur rechten Zeit“, hob Baumgartner
Sarközi hervor. Auch der 1993 kurz bevorstehende EU-Beitritt
Österreichs (1. Jänner 1995) hat Gerhard Baumgartner zufolge eine
wichtige Rolle bei der Anerkennung der Volksgruppe der Roma gespielt,
ebenso wie die Aufarbeitung der Zeit Österreichs während des
Nationalsozialismus 1938 bis 1945, ausgelöst durch die
„Waldheim-Affäre“ 1986.
Baumgartner: Roma waren die Verlierer der Ostöffnung
Im Vergleich mit den Ländern des ehemaligen Ostblocks ist die
Integration der Volksgruppenangehörigen der Roma vorbildlich
verlaufen. „Roma waren die Verlierer der Ostöffnung“, sagte
Baumgartner. Er berichtete von einer Studie, bei der mehrere Tausend
Menschen in Tschechien, der Slowakei, in Ungarn, Rumänien und
Bulgarien befragt worden waren. Sie ergab, dass das Prädikat „Arm“
mit der Volksgruppenbezeichnung „Roma“ gleichgesetzt wird.
Baumgartner sprach von einer „Ethnisierung der Armut“. Sie sei der
Grund, warum rechtsextreme Gruppen in den betroffenen Ländern einen
derartigen Zulauf von armen Menschen habe. „Wie sonst sollten arme
Leute beweisen, dass sie nicht aufgrund ihrer Ethnie arm sind?“,
stellte Baumgartner in den Raum.
Posch-Gruska: Ausgrenzung hat viele Gesichter
„Diese erschütternden Einsichten aus der Studie zeigen uns, wie
wichtig es ist aufzupassen, dass wir das Erreichte nicht gefährden“,
hob Gerhard Baumgartner hervor. Bundesratspräsidentin Inge
Posch-Gruska erinnerte, dass 12 Millionen Roma in Europa immer noch
am Rande von Ortschaften wohnen, 35.000 davon in Österreich.
„Ausgrenzung hat viele Gesichter – eines davon ist unser eigenes“,
unterstrich die Bundesratspräsidentin. Es liege in unserer
Verantwortung, als Mitglieder einer Gesellschaft hinzusehen und zu
handeln, wenn Menschen Unrecht geschehe. Sie zeigte auf, dass 2018 in
Österreich durchschnittlich jede Woche eine rechtsextreme oder
fremdenfeindliche Straftat bekannt geworden ist und mahnte: „Lasst
uns unsere kulturelle Vielfalt als die Bereicherung sehen, die sie
ist, und auf sie achten! Lasst uns aufeinander achten!“
Gärtner-Horvath: Die österreichische Roma-Politik ist beispielgebend
in Europa
Der Vorsitzende des Volksgruppenbeirats der Roma, Emmerich
Gärtner-Horvath, setzt sich vor allem für die Bewahrung der Kultur
und Sprache der Roma ein. Die österreichische Roma-Politik wertet er
als beispielhaft in Europa, deren Anerkennung als Volksgruppe als
wichtiges politisches Signal. Dennoch, so stellte er mit Sorge fest,
gibt es noch immer in unserer Gesellschaft Menschen, die große
Vorurteile gegenüber der Volksgruppe der Roma haben.
Gärtner-Horvath ging auf die Geschichte der Anerkennung ein und
thematisierte vor allem auch die damaligen Probleme im Bereich der
Bildung und auf dem Arbeitsmarkt. Es hätten sich aber dann zahlreiche
Projekte entwickelt, nicht nur um dieser Diskriminierung
entgegenzuwirken, sondern auch um die Roma-Kultur aufzuarbeiten. In
diesem Zusammenhang nannte er vor allem das Sprachprojekt
„Kodifizierung und Didaktisierung des Roman“, das Theater-Projekt „I
Kali Tschasarkija – die schwarze Kaiserin“, Roma-Tanzgruppen,
Roma-Bands, ferner die einsprachige Kinderzeitschrift „Mri nevi Mini
Multi“, zweisprachige und einsprachige Zeitungen und Märchenbücher
und Roma-Blogs. Besonders hob er die namentliche Erfassung der Roma
und die Zeitzeugendokumentation „Mri Historija“ hervor.
Ein besonderes Danke gelte dem Nationalfonds und seinen
MitarbeiterInnen unter der Leitung von Hannah Lessing. Durch dessen
Einrichtung 1995 hatten die Angehörigen der Roma-Volksgruppe erstmals
einen Zugang zu einer Einrichtung der Republik, die den Roma und
deren Leidensgeschichte Aufmerksamkeit schenkte, sagte
Gärtner-Horvath. Die Menschlichkeit sei bei diesen einfühlsamen
Gesprächen immer im Vordergrund gestanden.
Klippl: Die Mehrheit der Roma in Europa lebt in elenden Umständen
Auf die triste Situation der Mehrheit der 12 Millionen Roma in
Europa, vor allem in Südosteuropa, machte der Obmann des
Kulturvereins österreichischer Roma, Christian Klippl, aufmerksam.
Fast 80% der Volksgruppenangehörigen haben keinen Job, sie leben
unter Ausgrenzung und Diskriminierung. Es gebe zwar den EU-Rahmenplan
zur Integration der Roma bis 2020 – Zugang zur Bildung, zum
Arbeitsmarkt, zum Gesundheitssystem und zu Wohnraum – aber ein
Bericht aus dem Jahr 2016 habe gezeigt, dass die Mitgliedstaaten die
Ziele weitgehend verfehlen, beklagte er. Die Politik würde kaum
helfen, aus Angst vor dem Unmut der anderen Bevölkerungsschichten.
Auch Klippl hob die Bedeutung der Vereinstätigkeit, vor allem im
Burgenland und in Wien, sowie den ORF-Burgenland mit eigenen Fernseh-
und Radiosendungen hervor. Auch gebe es eine eigene Roma-Pastoral in
der Erzdiözese Eisenstadt, der Klippl besondere Bedeutung beimisst.
Um der noch immer bestehenden Diskriminierung zu begegnen, schlug
Klippl vor, die Geschichte der Roma als fixen Lehrstoff in den
Unterricht zu integrieren. Er drängte auch auf ein zentrales Mahnmal
in Wien für die Opfer der Roma und Sinti. Auch auf europäischer Ebene
sieht er noch viel zu tun. Um dem mehr Nachdruck zu verleihen, kann
er sich einen Friedensmarsch nach Brüssel vorstellen. (Schluss
Matinee) jan/gb
HINWEIS: Fotos von dieser Matinee finden Sie auf der Website des
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