Video von herabstürzenden Studierenden verletzt Ehrenkodex

Wien (OTS) – Nach Meinung des Senats 3 des Presserats verstößt der Artikel „Bolivien: 7 Studenten nach Streit in Tod gestürzt“, erschienen auf „krone.at“, gegen die Punkte 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.

Im Artikel wird über einen Streit an der Universität von El Alto in Bolivien berichtet, bei dem mindestens sieben Studenten aufgrund eines nachgebenden Geländers in den Tod gestürzt seien. In den Artikel ist ein Video von Twitter eingebettet, das im Universitätsgebäude aufgenommen wurde. Auf dem Video ist ein Gerangel zwischen mehreren Studierenden in einem oberen Stockwerk zu sehen, ehe das Geländer nachgibt und Personen herabstürzen. Einige Opfer sind auch während ihres Sturzes in der Luft zu sehen. Danach werden mehrere Opfer gezeigt, die bewegungslos am Boden liegen.

Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte die Veröffentlichung des Videomaterials als pietätlos. Die Medieninhaberin nahm am Verfahren vor dem Presserat nicht teil.

Der Senat hält zunächst fest, dass Berichte über tödliche Unfälle in einem öffentlichen Gebäude für die Allgemeinheit von Interesse sind; der Senat erkennt das Informationsinteresse an solchen Berichten an. Dies gilt auch für den hier zu prüfenden Fall, zumal mehrere Personen aufgrund des nachgebenden Geländers schwer verletzt wurden und einige sogar tödlich verunglückten. Aus dem öffentlichen Interesse an einer derartigen Berichterstattung ergibt sich jedoch nicht, dass der Persönlichkeitsschutz der Opfer missachtet werden darf.

Im vorliegenden Fall verletzt das in den Artikel eingebettete Video die Persönlichkeitssphäre der Opfer. Nach Ansicht des Senats ist die Veröffentlichung eines Videos, das herabstürzende Menschen aus einem oberen Stockwerk zeigt, als Verletzung der Menschenwürde zu bewerten (siehe Punkt 5.1 des Ehrenkodex für die österreichische Presse). Der Senat erachtet es sohin als evident, dass hier der Persönlichkeitsschutz missachtet wurde. Darüber hinaus betreffen Aufnahmen vom Moment des Todes neben der Würde auch die Intimsphäre der Sterbenden (Punkt 6 des Ehrenkodex).

Der Senat verweist auch noch auf Punkt 5.4 des Ehrenkodex, wonach auf die Anonymitätsinteressen von Unfallopfern besonders zu achten ist. Nach der Entscheidungspraxis der Senate des Presserats ist die Veröffentlichung von derartigen Bildaufnahmen überdies geeignet, die Trauerarbeit der Angehörigen massiv zu erschweren.

Zwar berücksichtigt der Senat, dass die Person auf dem Video aufgrund der Bildqualität nicht deutlich erkennbar und die am Boden liegenden Opfer nach deren Sturz nur kurz zu sehen sind. Allerdings sind die Personen auf dem Video wegen des beschriebenen Vorfalls jedenfalls für ihre nahen Angehörigen identifizierbar.

Im Ergebnis kann der Senat an der Veröffentlichung des Videos kein legitimes Informationsinteresse erkennen (Punkt 10.1 des Ehrenkodex). Seiner Ansicht nach diente die Veröffentlichung vor allem der Befriedigung des Voyeurismus und der Sensationsinteressen gewisser Userinnen und User (Punkt 10.3 des Ehrenkodex). Das Medium wurde seiner Filterfunktion nicht gerecht. Die Medieninhaberin von „krone.at“ wird aufgefordert, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten.

SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND EINER MITTEILUNG EINES LESERS

Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.

Im vorliegenden Fall führte der Senat 3 des Presserats aufgrund einer Mitteilung eines Lesers ein Verfahren durch (selbständiges Verfahren aufgrund einer Mitteilung). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin von „krone.at“ hat von der Möglichkeit, am Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.

Die Medieninhaberin der „Kronen Zeitung“ hat die Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats bisher nicht anerkannt.

Wolfgang Unterhuber, Sprecher des Senats 3, Tel.: 05 9030-22760

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