
Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 3 Jänner 2022. „Kickl oder der Preis des Erfolges“ Von MICHAEL SPRENGER.
Innsbruck (OTS) – Eine Wahl findet heuer sicher statt. Da will die FPÖ kräftig mitmischen. Ihr idealer Kandidat für die Hofburg wäre Norbert Hofer. Doch er wird erneut von vielen als Parteichef hofiert. Denn immer mehr lehnen Kickls Corona-Kurs ab.
Im Herbst geht nach sechs Jahren die Amtszeit von Alexander Van der Bellen zu Ende. Doch es darf damit gerechnet werden: Van der Bellen wird in ein paar Monaten seine Kandidatur für die zweite Amtsperiode als Bundespräsident bekannt geben. So weit, so unspektakulär. Aber das haben wir gelernt: Mit Blick auf die zurückliegenden Monate sollte man nicht viele Vorhersagen wagen.
Oder können wir mit Feuer und Schwert behaupten, dass heuer keine Nationalratswahl stattfindet? Trotz aller Versprechen von ÖVP und Grünen sollte man hier bei einer angebotenen Wette sehr zurückhaltend sein. Nicht nur, aber auch in der Innenpolitik sind Eigendynamiken unberechenbar.
Über das Unkalkulierbare in der Politik weiß auch Kickl spätestens seit Bekanntwerden des Ibiza-Videos Bescheid. Es stimmt schon: Bei einem Blick auf die Umfragen könnte Kickl zufrieden sein. Er hat die FPÖ aus dem Tief geholt und stabilisiert.
Doch für welch einen Preis? Immer mehr in der Partei können und wollen seinen Kurs in der Corona-Politik nicht mehr mittragen. Und zwar aus inhaltlichen Gründen, weil sie Kickls pandemischen Voodoo-Zauber für gefährlich halten. Aber ebenso aus strategischen Gründen. Kickl führt die FPÖ geradeaus in die politische Dauer-Quarantäne. Keiner will mehr bei ihr anstreifen.
Das alles weiß Kickl. Doch was tun? Er sieht mit der Impfgegner-Partei MFG eine echte Gefahr auf die FPÖ zukommen. Da will er dagegenhalten. Bei der Asylpolitik bleibt mit Blick auf die ÖVP alles wie gehabt, also knallhart. Doch dann ist da noch Norbert Hofer. Der Dritte Nationalratspräsident warf im Frühsommer das Handtuch, trat als Parteichef zurück und machte für Kickl den Weg frei. Damals verspürte Hofer kaum Rückhalt in der Partei. Das hat sich geändert. Hofer zog sich bewusst zurück, wartete ab und sah, wie Kickl nahezu täglich ein Kopfschütteln auslöst – im nationalen ebenso wie im ausgedünnten liberalen Lager.
Kickl braucht einen Wahl-Erfolg. Und dafür soll ausgerechnet Hofer sorgen. Kickl weiß um die Chance der Hofburg-Wahl. Denn nach heutigem Stand werden ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS keinen Gegenkandidaten zu Van der Bellen aufstellen. Also bekommt die FPÖ im Herbst über Wochen eine große Bühne, auf der sie sich präsentieren kann. Kickl wird und muss versuchen, Hofer für eine Kandidatur wegzuloben.
Auf der anderen Seite gibt es genügend FPÖler, die Hofer lieber als Spitzenkandidat für die Nationalratswahl sehen wollen. Vielleicht schon heuer? Auch in der ÖVP wäre man dankbar, wenn die FPÖ bald wieder eine Option sein könnte.
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