Bundesrats-Enquete: Expert:innen fordern weitere Investitionen in den Pflegebereich

Neue Angebote sollen Pflege auch im ländlichen Raum sicherstellen

Mit welchen Herausforderungen ist der Pflegebereich konfrontiert und wie sieht die Zukunft der Pflege aus NGO-Perspektive aus? Um diese Fragen ging es im zweiten Teil der heutigen Pflege-Enquete des Bundesrats, in dem unter anderem Vertreter:innen des Roten Kreuzes und des Samariterbundes, Pflegeexpert:innen aus verschiedenen Bereichen und Vertreter:innen pflegender Angehöriger zu Wort kamen.

Man müsse in den Pflegebereich investieren, um Pflegepersonal zu halten und neues Personal zu gewinnen, so der allgemeine Tenor der Referent:innen. Dazu brauche es neben höheren Gehältern weitere Attraktivierungsmaßnahmen. Außerdem wurden höhere Förderungen für die 24-Stunden-Betreuung, die gezielte Anwerbung von Pflegekräften aus Drittstaaten, der Ausbau von Pflegeangeboten im ländlichen Raum, etwa in Form von Pflegepraxen, die Förderung freiberuflich tätiger diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger:innen, die Etablierung von “School-Nurses” und Wahlmöglichkeiten für pflegebedürftige Personen als Anliegen genannt. Manfred Pallinger, im Sozialministerium für den Bereich Langzeitpflege zuständig, sprach sich für eine Überarbeitung der mittlerweile 30 Jahre alten Bund-Länder-Vereinbarung zur Pflegefinanzierung aus.

SCHNABL: ALLE MENSCHEN MÜSSEN PFLEGE IN BESTER QUALITÄT ZUR VERFÜGUNG HABEN

Zur Zukunft der Pflege aus NGO-Perspektive sprachen Franz Schnabl, Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes Österreich, und Petra Schmidt vom Österreichischen Roten Kreuz. Beide Organisationen bieten auch Pflegeleistungen an. Es sei wichtig, dass alle Menschen Zugang zu Pflege in bester Qualität haben, das dürfe nicht vom Einkommen abhängen, betonte Schnabl. Dazu brauche es aber entsprechende finanzielle Mittel. So wie bisher könne es nicht weitergehen.

Einen besonderen Fokus richtete Schnabl auf die Gesundheit der Mitarbeiter:innen im Pflegebereich. Um bestehendes Personal zu halten, brauche es nicht nur mehr Gehalt, sondern auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, mahnte er. So habe eine während der Corona-Pandemie durchgeführte Studie gezeigt, dass die Hälfte des Pflegepersonals an einen Ausstieg denke. Auch betrage die durchschnittliche Verweildauer im Beruf nur sechs bis zehn Jahre. Konkret drängte Schnabl etwa auf einen bundesweit einheitlichen adäquaten Personalschlüssel in Alten- und Pflegeheimen, um Überforderung zu vermeiden. Auch bei den Arbeitszeiten kann man seiner Meinung nach ansetzen, was der Samariterbund bereits getan habe.

Ausdrücklich begrüßt wurde von Schnabl und Schmidt die als Entlastungswoche konzipierte sechste Urlaubswoche für Pflegepersonal, wobei Schmidt bedauerte, dass Sozialbetreuungsberufe, also etwa Heimhilfen, nicht umfasst sind.

SCHMIDT: PERSONALFRAGE IST BRENNENDSTES THEMA IM PFLEGEBEREICH

Generell hält Schmidt die Personalfrage als das brennendste Thema im Pflegebereich. Es gebe ein großes Maß an Frustration und Verzweiflung unter den Beschäftigten, meinte sie. Pflege brauche viel Zeit, oft sei jedoch keine Zeit mehr für Zuwendung vorhanden.

Um mehr Personen in den Pflegebereich zu bringen, habe man zwar schon viele Anreize gesetzt, sagte Schmidt, Berufstätige, die umsteigen wollten, bekämen aber oft sehr unterschiedliche Auskünfte, die sie verunsichern und verwirren. Zudem sei die nächstgelegene Pflegeschule oft weit entfernt, was für Jugendliche, die an eine Pflegeausbildung denken, ein Hindernis sei. Masterlehrgänge für spezialisierte Ausbildungen müssten wiederum meist selbst finanziert werden.

Aus Sicht der pflegebedürftigen Personen gab Schmidt zu bedenken, dass zumeist der Wunsch bestehe, so lange wie möglich selbstbestimmt zu Hause zu leben. Die Betroffenen wollten außerdem Wahlfreiheit haben, welches Maß an Unterstützung sie bekommen und von welcher Organisation sie betreut werden. In diesem Sinn brauche es vielfältige stationäre, teilstationäre und mobile Angebote. Bei neuen Pflegemodellen müsse man darauf achten, dass diese praxistauglich seien, so Schmidt.

ECKER: TEILZEITARBEIT FÜR PENSIONIERTES PFLEGEPERSONAL ATTRAKTIVER MACHEN

Das Panel “Pflege von morgen: Herausforderungen bis 2050 aus heutiger Sicht” leitete Christine Ecker von der Samariterbund Burgenland Rettung und Soziale Dienste GmbH ein. Um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, schlug sie unter anderem höhere Einstiegsgehälter für junge Plegekräfte sowie die Wiederbelebung von Betriebskindergärten in Krankenanstalten vor. Das würde etwa alleinerziehenden Müttern den Verbleib im Beruf erleichtern.

Auch ein attraktives Angebot für Pflegepersonal, in der Pension weiter Teilzeit zu arbeiten, könnte nach Meinung Eckers dazu beitragen, die drohende massive Personallücke im Pflegebereich zu schließen. Schließlich gingen in den nächsten Jahren 34.000 Pflegekräfte in Pension, dazu komme ein zusätzlicher Personalbedarf von 75.000 Personen bis zum Jahr 2030. Sie glaubt, dass ein entsprechendes Angebot vielfach angenommen würde.

Was die Pflegelehre betrifft, hält Ecker es für essenziell, die jungen Menschen gut zu begleiten. Sie könnten etwa von pensioniertem Pflegepersonal betreut werden, schlug sie vor. In der Schweiz würden nach der Pflegelehre 60 % wieder aus der Pflege aussteigen, gab sie zu bedenken. Ebenso müsse eine Karriere von der Pfleglehre bis zum Doktorat möglich sein. Wie in der Medizin braucht es nach Ansicht von Ecker außerdem auch in der Pflege eine Spezialisierung, etwa was Wundversorgung, Diabetes oder School-Nurses betrifft. Hinterfragt wurden von ihr vielfältige externe Kontrollen.

PALLINGER: GELD ALLEIN PFLEGT NICHT

Manfred Pallinger, Leiter der Sektion Pflegevorsorge, Behinderten- und Versorgungsangelegenheiten im Sozialministerium, hob die Notwendigkeit hervor, die 30 Jahre alte Bund-Länder-Vereinbarung zur Pflegefinanzierung zu überarbeiten. Gleichzeitig verwies er auf die vielfältigen Leistungen des Bundes im Pflegebereich.

So stellt der Bund Pallinger zufolge etwa allein für die Finanzierung des Pflegegeldes 2,8 Mrd. € bereit. Für die sozialversicherungsrechtliche Absicherung und andere Unterstützungsmaßnahmen für pflegende Angehörige werden demnach fast 100 Mio. € aufgewendet. Mit 300 Mio. € schlagen die Zahlungen an die Länder für den Entfall des Pflegeregresses zu Buche. Dazu kommen die Einzahlungen in den 2011 eingeführten Pflegefonds, Fördermittel für die 24-Stunden-Betreuung und für die Hospiz- und Palliativversorgung sowie die zuletzt geleisteten Zweckzuschüsse an die Länder für Gehaltserhöhungen für Pflegepersonal und für Ausbildungen. Auch würde das Pflegegeld seit 2020 jährlich valorisiert – laut Pallinger eine der Hauptforderungen bei der letzten Pflege-Enquete des Bundesrats im Jahr 2017. Ebenso sei die damalige Forderung nach einem höheren Demenz-Zuschlag bei der Pflegegeldeinstufung mittlerweile umgesetzt worden.

“Geld allein pflegt aber nicht”, gab Pallinger zu bedenken. Es brauche Personen, die Zuwendung erbringen. Darauf gelte es den Fokus der Politik zu richten. Zudem hält er es für notwendig, den pflegebedürftigen Mensch in den Mittelpunkt zu stellen und das System um ihn herum aufzubauen. Es brauche Brücken zwischen den Angeboten, betonte er. Ein Ansatz ist für ihn dabei Community-Nursing, wo derzeit 111 Projekte laufen. Zudem sprach er sich für die Einrichtung einer Pflegeentwicklungskommission aus, um sich besser zwischen Bund, Ländern und Gemeinden abzustimmen, gemeinsame Ziele festzulegen und den Datenaustausch zu fördern.

RAPPOLD: ERFOLGSREZEPT HEISST INVESTIEREN, NICHT SPAREN

Elisabeth Rappold, Leiterin der Abteilung Langzeitpflege bei der Gesundheit Österreich, wies darauf hin, dass es nach den aktuellen Prognosen notwendig sei, jährlich 7.000 Personen in das Pflegesystem zu bringen. Das könne nur durch Investitionen in das Personal und in das Sozial- und Gesundheitssystem erreicht werden, betonte sie. Um Menschen für die Pflege zu begeistern, brauche es zum einen eine adäquate Bezahlung, zum anderen aber auch Maßnahmen wie Karrieremodelle und eine Erhöhung von Handlungsspielräumen durch Kompetenzerweiterungen. Damit würde man auch Wertschätzung ausdrücken, meinte Rappold. Zudem sei Dienstplansicherheit wichtig: Die Betroffenen müssten darauf vertrauen können, dass sie an freien Tagen wirklich frei haben und nicht in ihrem Urlaub angerufen werden.

Gesellschaftspolitisch hält es Rappold für wesentlich, die Gesundheits- und Lebenskompetenzen der Bevölkerung zu stärken und damit bereits früh anzufangen. So solle etwa der Sportunterricht dazu genutzt werden, um Freude an Bewegung zu fördern. Derzeit würde dieser oft als sozialer Druck wahrgenommen. Auch solle man schauen, ob die aktuellen pädagogisch-didaktische Konzepte die Gesundheit verbessern oder nicht vielleicht sozialen Druck erhöhen. School-Nurses und Psycholog:innen könnten dazu beitragen, chronisch kranken Kinder die Teilnahme am Unterricht zu ermöglichen bzw. die Resilienz der Schüler:innen zu stärken. Rappold sprach sich außerdem dafür aus, in jedem Dorf eine Pflegepraxis zu etablieren, um lange Fahr- bzw. Transportwege – etwa für Katheterwechsel – zu vermeiden.

PÜRER: FREIBERUFLICHE GESUNDHEITS- UND KRANKENPFLEGER:INNEN FÖRDERN

Aus der Praxis der 24-Stunden-Betreuung berichtete Sabine Pürer, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin und Geschäftsführerin vom Betreuungsnetz24, das unter anderem Betreuungskräfte für die 24-Stunden-Betreuung vermittelt und stundenweise Betreuung sowie Beratung pflegender Angehöriger anbietet. Ihr gehe es darum, Menschen zu Hause in Würde zu betreuen, sagte sie. Dabei ortet sie viele Mängel in der 24-Stunden-Betreuung, es gebe “wirklich schlechte Agenturen”. Zum Teil bestünden etwa erhebliche Defizite bei der Qualitätssicherung. Gleichzeitig würden sich viele Betreuungskräfte die Bedingungen nicht mehr gefallen lassen und mehr Geld fordern.

Als einen Grund für die Missstände sieht Pürer zu geringe staatliche Förderungen. Wer ein niedriges Einkommen habe, könne sich qualitativ hochwertige Agenturen, die den Betreuer:innen mehr zahlen, nicht leisten. Die zuletzt erfolgte Erhöhung der Förderung um 90 € auf 640 € im Monat ist ihrer Meinung nach zu wenig. Wenn man etwas verbessern wolle, könne man das nur mit mehr Geld machen, ist sie überzeugt. Auch Mindestpensionist:innen sollten die Möglichkeit haben, je nach Bedürfnissen zwischen verschiedenen Pflegeangeboten auszuwählen.

Pürer forderte zudem eine Förderung freiberuflich tätiger diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger:innen, um mehr qualitätsvolle Pflege vor Ort anbieten zu können, sowie Deutschkurse und Ausbildungen für 24-Stunden-Betreuer:innen in Österreich. In stationären Einrichtungen wären ihrer Meinung nach Pooldienste sinnvoll, damit Menschen selbst entscheiden könnten, wann sie arbeiten wollen. Das wäre etwa für alleinerziehende Mütter bedeutend.

Was die Rekrutierung von 24-Stunden-Betreuer:innen betrifft, berichtete Pürer, dass sich eine Zusammenarbeit mit Agenturen in den Heimatländern der Betreuer:innen als nicht sinnvoll erwiesen habe. Die guten Personenbetreuer:innen würden alle gut deutsch sprechen und erfahren sein und sich daher nicht an lokale Agenturen in ihren Heimatländern wenden, da sie dadurch doppelt zahlen müssten. Zudem gebe es keine Qualitätskontrolle bei den Agenturen vor Ort.

MEINHARD-SCHIEBEL: LONG-COVID BEI PFLEGEGELDEINSTUFUNG BERÜCKSICHTIGEN

Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger, hob hervor, dass es fast eine Million pflegende Angehöre gebe, die aber keine eigene Stimme und keine politische Vertretung hätten. Stellvertretend für sie bemühe sich der Verein um Verbesserungen. Derzeit gebe es einen Katalog mit 14 Forderungen, etwa jener, auch neue Krankheiten wie Long-Covid bei der Pflegegeldeinstufung zu berücksichtigen.

Auch die Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Pflegekarenz ist Meinhard-Schiebel ein Anliegen: Vier Wochen reichen ihr zufolge nicht aus, um etwa eine 24-Stunden-Betreuung zu organisieren und andere notwendige Maßnahmen “auf die Reihe zu bringen”. Drei Monate gebe es aber nur, wenn dies bereits im Kollektivvertrag oder in Betriebsvereinbarungen verankert sei, was noch dauern könne. Außerdem übte sie Kritik an überbordender Bürokratie – für fast alles müsse man einen Antrag stellen.

Allgemein gab Meinhard-Schiebel zu bedenken, dass pflegende Angehörige keine Freiwilligen seien. Pflegeaufgaben würden übernommen, weil sie notwendig seien und weil niemand anderer da sei. In den skandinavischen Ländern wie Schweden oder Dänemark würde Pflege viel stärker als gesamtgesellschaftliche Verantwortung gesehen.

WALLNER: BASISFÖRDERUNG FÜR 24-STUNDEN-BETREUUNG AUF 1.100 € ERHÖHEN

Auf eine Erhöhung der monatlichen Basisförderung für die 24-Stunden-Betreuung auf 1.100 € drängte Johannes Wallner, Geschäftsführer des Vereins zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen. Die Menschen sollten die Wahl haben, von wem sie sich pflegen lassen, sagte er. Zudem müsse man sich darauf vorbereiten, dass es in Zukunft viele Dörfer geben werde, in denen alte Menschen überwiegen.

Schon derzeit komme es zu massiven Überforderungen im System, mahnte Wallner. So fehle in der stationären Pflege Fachpersonal. Ebenso würden die Honorare für 24-Stunden-Betreuer:innen ihm zufolge im internationalen Vergleich hinterherhinken. Er plädierte daher für einen “Fairness-Bonus” für 24-Stunden-Betreuuerinnen, angelehnt an die Höhe der Pflegegeldeinstufung der zu betreuenden Person, und einen Qualitätsbonus für Agenturen mit anerkanntem Qualitätsgütesiegel.

Nach Ansicht von Wallner braucht es im Pflegebereich außerdem Menschen aus Drittstaaten. Dazu sei es nicht nur notwendig, “eine Willkommenskultur zu etablieren”, sondern auch die Behörden “zur Räson zu bringen”. Es gebe viel zu viel Bürokratie, beklagte er. Gleichzeitig mangle es an Unterstützung für Anwerbungen aus dem Ausland.

ARCHAN: PFLEGEBERUF DARF NICHT WEITER ENTPROFESSIONALISIERT WERDEN

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