Tag der Parlamentsforschung: Wissenschaftsinhalte in parlamentarischen Debatten rücken in den Fokus

Vorstellung des Projekts für das erste ausgelobte Forschungsjahr in der Parlamentsforschung

Am Nachmittag des erstmalig stattgefundenen Tages der Parlamentsforschung wurde heute jenes Projekt vorgestellt, das für das ebenfalls erstmals ausgelobte Forschungsjahr im Parlament ausgewählt wurde. Das auserkorene Forschungsvorhaben trägt den Titel „Die Rezeption von Wissenschaftsdiskursen in der Debattenkultur des Parlaments“ und zielt auf eine Inhaltsanalyse wissenschaftsbezogener Argumentationsstrategien in der politischen Diskursstruktur in Österreich ab. Einer der Schwerpunkte bei dem Forschungsvorhaben liegt demnach auf der „Science-Policy-Interface“, also der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik.

Schließlich diskutierten auch Vertreter:innen aus Wissenschaft und parlamentarischer Praxis über mögliche Antworten auf die Frage: „Science-Policy-Interface und Parlamente: Wie kann ein kontinuierlicher Austausch gestaltet sein?“.

FORSCHUNGSPROJEKT: WISSENSCHAFTSDISKURSE UND DEBATTENKULTUR DES PARLAMENTS

Aus acht Einreichungen wurde vom Wissenschaftlichen Beirat im Parlament das Forschungsvorhaben von Bianca Winkler, Doktorin der Philosophie und Geschichte, ausgewählt. Ausführliche Informationen rund um die Parlamentsforschung finden sich dazu auf der Website des Parlaments. Parlamentsvizedirektorin und Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats, Susanne Janistyn-Novák, begrüßte Bianca Winkler, die ihr Forschungsvorhaben vorstellte. Es soll ab August für ein Jahr evaluieren, welchen Stellenwert wissenschaftliche Erkenntnis als Argument in der politischen Entscheidungsfindung hat. Untersucht werden soll etwa, ob es Themen gibt, bei denen Wissenschaftler:innen vermehrt zitiert werden oder ob sich Rückbezüge auf Expert:innen gleichmäßig auf verschiedene Themen verteilen. Dazu möchte die Wissenschaftlerin die Protokolle von Parlamentssitzungen der letzten drei Jahre einer quantitativen Inhaltsanalyse unterziehen, um repräsentative Beispiele auszuwählen. Bei der qualitativen Analyse soll auch die Diskursstruktur politischer Debatten mit Wissenschaftsbezug skizziert werden. Die Forschungsfragen zielen unter anderem darauf ab, auf welche wissenschaftsbasierten Modelle der Wahrheit sich Politiker:innen in parlamentarischen Debatten beziehen.

PODIUMSDISKUSSION „SCIENCE-POLICY-INTERFACE UND PARLAMENTE“

Auf dem Podium diskutierten anschließend Nationalratsabgeordnete a. D. Ruperta Lichtenecker, derzeit Abteilungsleiterin im Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit in der Gesundheit Österreich GmbH, Michael Nentwich, Direktor des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung (AIT) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Johannes Pollak, Rektor der Webster Vienna Private University Wien, sowie Teresa Weber, Institute for Law and Governance, WU Wien. Zum Thema „Science-Policy-Interface und Parlamente“ stand zur Debatte, wie ein kontinuierlicher Austausch in diesem Bereich gestaltet sein kann.

LICHTENECKER SIEHT WISSENSCHAFTLICHE GRUNDLAGEN IM PARLAMENT GESTÄRKT

Die wissenschaftlichen Grundlagen im Parlament seien etwa durch den Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienst der Parlamentsdirektion, durch den Budgetdienst im Parlament oder durch das AIT gut gestärkt worden, meinte Ruperta Lichtenecker. Zudem sehe sie strukturelle Verbesserungen durch die Pandemie, was die Integration des Wissens in die Entscheidungen betrifft. Was die Wissenschaft aus ihrer Sicht darüber hinaus leisten könnte, wäre im Sinne einer Faktenorientierung eine gemeinsame Faktenbasis zu schaffen. Es brauche auch eine Art Dach oder Plattform, wo man sich verständigen könne. Erkenntnisse aus der Pandemie könnten Lichtenecker zufolge unter anderem sein, dass der Forschungsbedarf klar gemacht werden müsse. Bei Nichterreichen der Klimaziele würden ihr zufolge bis 2030 gesamt an die 9,2 Mrd. € an Strafen drohen – hier müsse überlegt werden, wie eine geeignete Governance-Struktur für solche Herausforderungen wie die Klimakrise aussehen könne.

NENTWICH ZUR INSTITUTIONALISIERUNG DES AUSTAUSCHS

Michael Nentwich erwähnte etwa den Rahmenvertrag der Technikfolgenabschätzung mit dem Parlament und einige Berichte bzw. Studien, die dadurch vorgelegt würden. Seines Wissens sei die Technikfolgenabschätzung die einzige Form der ständigen institutionalisierten Beratung für Parlamente und würde sich etwa auch mit allgemeinen Zukunftsfragen beschäftigen. Insgesamt stelle aus seiner Sicht eine der größten Hürden, dass Wissenschaft in die Politik kommt, auf beiden Seiten der Zeitmangel für kontinuierliche intensive Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik dar. Von einer Institutionalisierung des Austauschs könnte der Diskurs im Parlament profitieren, so Nentwich – etwa als Plattform oder indem man die Technikfolgenabschätzung in erweiterter Form verstehen würde.

POLLAK: POLITIK SOLLTE AKZEPTANZ SCHAFFEN

Johannes Pollak sieht zwar eine Verbesserung der Einbindung von Wissenschaft im Parlament, aber dabei auch „Luft nach oben“. Wenn der Austausch zwischen Wissenschaft und Politik funktioniere, bedeute das aus seiner Sicht nicht automatisch, dass die Erkenntnisse auch umgesetzt würden. Die Politik bediene sich der Wissenschaft oft auch als Ausrede, meinte er auch im internationalen Kontext. Wissenschaftliche Erkenntnisse würden außerdem auf eine „Logik der Wahlzyklen“ treffen. Zudem fehle es auch an unabhängigen Perspektiven. Als „einen einzigen Skandal“ bezeichnete es Pollak, dass die Politik in der Pandemie nicht die Gelegenheit ergriffen habe, die Wissenschaft zu stärken. Die Politik müsse Akzeptanz schaffen, aber auch erzeugen, und versuchen, Bürger:innen „mitzunehmen“.

WEBER: „LAUTSTÄRKERE WISSENSCHAFTER:INNEN“ UND „ZUHÖRENDE POLITIKER:INNEN“

Teresa Weber meinte demgegenüber, dass sich der Transfer von der Wissenschaft in die Politik in den letzten Jahren deutlich verbessert habe und führte das auch auf ein gestärktes Bewusstsein für den Austausch durch die Pandemie zurück. Institutionell müsse aus ihrer Sicht aber trotzdem noch viel getan werden. Für die Wirkungsfolgenabschätzung zu Gesetzen brauche es Weber zufolge Expert:innen mit erweiterten Kenntnissen und Kompetenzen. Insgesamt könne für die Gesetzgebung das Verfassungsrecht noch viel stärker als Hebel herangezogen werden. Derzeit müsse für ein Gesetz erst dann, wenn es bekämpft werde, die Zieldefinition nachgewiesen werden. Insgesamt wären aus Sicht von Weber „lautstärkere Wissenschafter:innen“ und mehr „zuhörende Politiker:innen“ gut. In der Wissenschaft kenne man die Vorläufigkeit der Ergebnisse, die man sich mit fundierten Argumenten auch im Parlament für den Fall eingestehen könnte, wenn man es sich anders überlege, so Weber. (Schluss Tag der Parlamentsforschung) mbu

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Webportal des Parlaments.

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