PRAEVENIRE Gesundheitsgespräche Alpbach: An einem Strang ziehen gegen Medikamentenengpässe

Expert:innenrunde sieht ein erhebliches Potenzial in innerösterreichischen Maßnahmen, um Versorgungsproblematik zu verringern

Drei Thesen zum Thema Lieferengpässe präsentierte Mag. Bernd Grabner, Präsident der Dachorganisation europäischer Arzneimittel Vollgroßhändler GIRP und Vorstandsmitglied der PHAGO, der freiwilligen Interessenvertretung des österreichischen Arzneimittel-Vollgroßhandels zu Beginn des PRAEVENIRE Talks zum Thema Arzneimittelversorgung in Alpbach: Es fehlt an Offenheit, zu viele Köche verderben den Brei, es wurde schon viel zu viel Zeit verloren. So sei in Österreich viel Zeit aufgewandt worden die Lage überhaupt einzuschätzen und nach Lösungen zu suchen. Die Hauptursache für Lieferengpässe liegt in der Globalisierung, da es in der globalen Lieferkette viele Bruchstellen gäbe. Ein Problem, das nicht allein auf europäischer Ebene gelöst werden kann. Allerdings fällt in einer detaillierteren Analyse von Lieferengpässen auf, dass diese in den allermeisten Fällen nur national auftreten bzw. nur sehr wenige Länder betreffen und das entsprechende Medikament durchaus am europäischen oder weltweiten Markt erhältlich wäre – das müsse man bei der Suche nach Lösungen bedenken. Der Wettbewerb der vielen Großhändler, wie er in Österreich praktiziert werde, macht es möglich, dass Lieferengpässe noch keine Versorgungsengpässe sind: Denn, wenn eine Apotheke einen oder zwei Großhändler hat, aber nur der dritte und vierte das Produkt liefern kann, dann ist es in der betreffenden Apotheke nicht verfügbar. Oft wären prinzipiell genügend Medikamente im Land, aber durch die Kontingente der Hersteller nicht bei allen Großhändlern.

Die mittlerweile durch die Bundesregierung getroffenen Maßnahmen, um die Liefer- und Versorgungsproblematik in den Griff zu bekommen, erachtet Grabner als nicht zufriedenstellend, da sie an der Realität vorbeigehe. So habe sich Österreich beispielsweise bei der Verordnung für die Bevorratung von Medikamenten an Finnland orientiert, das eine völlig andere Marktstruktur hat. Der Entwurf der Verordnung hat zudem das Defizit, dass viele Parameter wie Finanzierung, Platz für Bevorratung, Ablaufdaten nicht bedacht wurden.

Um die Situation zu verbessern, müsste seiner Meinung nach die AGES als Aufsichtsbehörde transparent in die Bestände der Apotheken schauen können, wie es in Dänemark praktiziert wird. Dort müssen Apotheken ihre Kontingente zurückgeben, wenn sie andernorts dringender gebraucht werden. So können Lieferengpässe ganz einfach bekämpft werden. „Alle in der Versorgungskette müssen eng zusammenarbeiten, um die Situation zu verbessern“, so Grabner abschließend.  

WARENAUSTAUSCH STATT MEDIKAMENTE HORTEN

Einer weltweiten Studie zu Arzneimittelengpässen des auf den Pharmamarkt spezialisierten Marktforschungsinstituts IQVIA zufolge liegt Österreich hinter Italien auf Platz 2, erklärt der Berater und ehemalige Pharma-Topmanager Dr. Claudio Albrecht. Betroffen von Engpässen sind vor allem Produkte, bei denen das Patent abgelaufen ist und bei denen es generische Konkurrenz gibt. Weltweit sind 60 bis 70 Prozent aller pharmazeutischen Produkte generisch – so auch in Österreich.

Käme es tatsächlich zu Versorgungsengpässen, könne dies für Patient:innen lebensbedrohlich werden, mahnt Albrecht. Da die Verfügbarkeit in Europa nicht einheitlich ist und Produkte in einigen Ländern verfügbar sind und in anderen nicht, oder zumindest knapp, müssen die Beschaffungsprozesse liberalisiert werden, um Produkte europaweit leichter umzuverteilen. Ebenso sollte verstärkt an das Instrument der „Unlicensed Medicines“ gedacht werden. Dabei handelt es sich um bewährte Produkte, die eine Zulassung besitzen, aber keine Vertriebslizenz in Österreich. Diese könnten helfen, kurzfristig einen Engpass national üblicher Produkte zu überbrücken.

Kurz- und mittelfristig sieht Albrecht drei große Stellschrauben, die die Verfügbarkeit von Medikamenten verbessern könnten: Kurzfristig, aber nicht populär ist, ein Produkt gegen ein gleichartiges Produkt austauschen. Das werde von Apotheken schon jetzt gemacht, allerdings bräuchte es hierbei klarere rechtliche Regelungen. Als zweiten Punkt sieht er die Rohstoffproduktion, da hier ein Großteil aus China und Indien komme und aufgrund von Produktionsausfällen oft nicht verfügbar ist. Allerdings wäre eine Rohstoffproduktion in Europa ein eher langfristiges Projekt. Als dritten Punkt spricht er das Preisniveau für Medikamente in Österreich an. Momentan gäbe es wenig Anreize für Hersteller, ihre Produkte im Markt zu halten.

Notwendig erachtet Albrecht, die Handlungsspielräume im Handel offen zu halten und die Verkehrsfreiheit zu unterstützen. Exportverbote führen zu reziproken Handlungen, warnt er. Auch sei es völlig kontraproduktiv, wenn Länder durch restriktive Lagerhaltungen Medikamente horten – das wäre maximal in einer Pandemie sinnvoll.

 

„DEN LETZTEN BEISSEN DIE HUNDE“

„Wir sehen an der Spitze des Eisbergs, dass der starke Preisdruck zu Anpassungen führt, die die Flexibilität stark einschränken“, erklärt Dr. Wolfgang Andiel, Präsident des Österreichischen Generikaverbandes. 72 Prozent der patentfreien Medikamente werden nur noch von 1 bis 3 Herstellern hergestellt. Eine Entwicklung die sich, so Andiel, noch weiter verschlechtern wird. „Wir können nichts bevorraten, was nicht hergestellt wird“, warnt er. Zusätzlicher Marktdruck käme, da „Mangelantibiotika“ auf der Preisband-Liste stünden. Dies wird die Versorgung weiter verschlechtern, da die Margen für die Erzeuger dadurch immer geringer werden. „Es wird in der Diskussion völlig ignoriert, dass die Hersteller ein finanziell interessantes Umfeld finden müssen, sonst werden sie nicht im Land verbleiben“, warnt Andiel. Die ökonomische Situation in Österreich sei sowohl für Hersteller als auch für den Großhandel brisant.

„Im Spital gibt es als einzigen Sektor eine gesetzliche Bevorratung, die derzeit 14 Tage beträgt“, erklärt Mag. Gunda Gittler, MBA, Leiterin der Anstaltsapotheke im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Linz und PRAEVENIRE Vorstandsmitglied. Dies verursache hohe Kosten. Unterschiedliche Verbrauchssituationen wie Pandemie, Grippewelle etc. haben bei einzelnen Medikamenten extreme Engpässe erzeugt. Die Industrie habe nicht zuletzt auch wegen des Preisdrucks nicht flexibel genug ihre Produktion auf die geänderte Nachfrage umgestellt, schildert sie. „Eine Packung Medikamente kostet oft weniger als eine Packung Kaugummi – da läuft etwas falsch“, mahnt Gittler. Die Idee, den Versorgungsengpässen durch einen Zentraleinkauf zu begegnen, um ein höheres Marktgewicht zu erzeugen, hält Gittler für bedenklich, da er viel zu spät auf konkrete Nachfragesituationen reagiere. Durchaus etwas abgewinnen kann sie hingegen Exportverboten, um den im Land vorhandenen Medikamentenbestand zu schützen.

„Im Praxisalltag bedeuten Liefereinschränkungen einen deutlichen Mehraufwand, da man laufend nachschauen muss, ob ein zu verordnendes Medikament überhaupt lieferbar ist“, schildert Dr. Erwin Rebhandl, Allgemeinmediziner in der PVE Haslach (OÖ). Zudem sei die Liste der Vertriebseinschränkungen in der Praxis oft nicht tagesaktuell über die Ordinationssoftware abrufbar, das mache die Suche nach Alternativen sehr zeitaufwendig und im Endeffekt werden die Patient:innen verunsichert, weil die plötzlich andere Medikamente nehmen müssen. Teilweise sei es nicht mehr möglich, Patient:innen leitlinienkonform zu therapieren. Und wenn das gewünschte Medikament am Markt verfügbar sei, dann müssen Patient:innen oft weite Strecken zurücklegen, um an dieses zu kommen, da es die dem Wohnort nächste Apotheke nicht führe. Rebhandl äußerte den Wunsch nach einer besseren Integration der Verfügbarkeit in Apotheken in die Softwaresysteme, dann würden sich Ärzte viel Zeit ersparen.

„Die Liste des Exporteinschränkungsregisters sagt nichts darüber aus, ob ein Medikament in einer Apotheke wirklich verfügbar ist“, erklärt DI Dr. Günter Waxenecker, Leiter der AGES Medizinmarktaufsicht. Er ortet ein massives Informationsdefizit. Denn den Vertriebseinschränkungen stünden die Liefermengen der Pharmaindustrie gegenüber – allerdings lasse sich nicht nachvollziehen, wo sich das Material tatsächlich befinde. Traditionelle Marktmechanismen funktionieren derzeit nicht mehr. Hier werden sich die Marktaufsichtsbehörden verstärkt regulierend einbringen müssen. Verbesserung der Situation erhofft sich Waxenecker durch die Revision der EU-Arzneimittelrichtlinie, die erste Ansätze in die richtige Richtung bringe. „Jetzt braucht es mehr Zug zum Tor. Wir müssen zusammenhelfen“, appelliert er.

„Patient: innen sind völlig verwirrt und verstehen nicht, warum ihre langjährig genommenen Medikamente plötzlich nicht verfügbar sind“, schildert Theresia Albrecht, von der Landesvertretung Tirol des Berufsverbands der ArztassistenInnen Österreich. Schwerkranke Patient:innen können ihre Präparate teilweise in drei oder vier Apotheken nicht bekommen und müssen eine Odyssee zurücklegen, um diese dann irgendwo zu erhalten. „Der Lieferengpass ist manchmal dramatisch im Einzelfall“, so Albrecht. Deshalb fordern die Ordinationsassiten:innen dringend eine Liste, aus der die Verfügbarkeit von Medikamenten in Apotheken einsehbar ist. 

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ÜBER PRAEVENIRE

Der gemeinnützige Verein PRAEVENIRE – Gesellschaft zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung bietet mit zahlreichen Veranstaltungen, wie den Gesundheitstagen im Stift Seitenstetten, den Gesundheitsgesprächen in Alpbach oder Gipfelgesprächen in Wien und anderen Orten in Österreich, eine unabhängige Plattform, um wichtige gesundheitspolitische Themen und Fragen zur Versorgung zu diskutieren und Lösungsvorschläge sowie Handlungsempfehlungen in Form eines Jahrbuches für die Politik und Entscheidungsträger im Gesundheitswesen auszuarbeiten. Bei allen Überlegungen stehen immer die Patient:innen im Mittelpunkt.

Nähere Informationen unter: https://praevenire.at/

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