34. Wiener Landtag (5)

Bericht der Wiener Pflege- und Patient*innenanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2023

LAbg. Ingrid Korosec (ÖVP) bedankte sich bei der Anwaltschaft für deren gesamte Tätigkeit und den vorliegenden Bericht. Dieser zeige, dass es „große Missstände“ geben würde, vor allem im Personalbereich müsse noch „viel, viel mehr folgen“. Bemerkenswert für sie sei, dass in einem Drittel der aufgeführten Fälle Behandlungsfehler aufgezeigt worden seien. Im „sensiblen“ Bereich der Gesundheitsversorgung ließen sich Fehler nicht vermeiden, zum Teil seien schwerwiegende Fälle aufgezeigt worden, die systematische Fehler vermuten lassen, so Korosec. Alarmierend sei auch die Erwähnung des Begriffs Zwei-Klassen-Medizin im Bericht, fand Korosec, die anschließend einzelne schwerwiegende Einzelfälle aus dem Bericht aufzählte. Besonders problematisch ist nach Korosecs Ansicht der Umgang mit älteren Patient*innen, denn vor allem alleinstehende Ältere hätten einen besonderen Bedarf an Zuwendung. Das Entlassungsmanagement sei ein wichtiger Faktor im gesamten System, hier müsse stets darauf geachtet werden, dass ein reibungsloser Übergang von Klinikaufenthalt in den Alltag erfolgen kann. Ein Beispiel: Die Nachversorgung für einen alleinstehenden Patienten mit Liegegips wurde nach der Entlassung anscheinend vergessen, so dass dieser zu Hause mehrere Tage ohne warme Verpflegung blieb, schilderte Korosec. „Bei allem Verständnis – jeder Mensch macht Fehler – hier handelte es aber sich um systematische Missstände, die die Stadtregierung zu verantworten hat“, formulierte Korosec. Trotz der Zusage von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) im zuständigen Gemeinderatsausschuss, dass das Entlassungsmanagement in Wien funktioniere, zeige der Bericht auf, dass dies nicht der Fall sei. „Dieser Bericht ist eine Pflichtlektüre für uns alle – nicht nur für jene, die im Gesundheitsausschuss sitzen“, so Korosec, die sich abschließend bei allen Mitarbeiter*innen im Wiener Gesundheitsbereich bedankte.

LAbg. Dr. Claudia Laschan (SPÖ) freute sich über den „tiefgehenden Bericht, der an den Grundlagen des Gesundheitswesens in Wien kratzt“. Derzeit gebe es zu wenig Ressourcen und Geld im System, die Reform des Bundes habe nach ihrer Ansicht nicht den benötigten Fortschritt für ein Gesundheitswesen gebracht. Patient*innen würden aufgrund von Doppelgleisigkeiten im System oft nicht optimal betreut werden, parallele Strukturen würden zu relativer Personalknappheit führen. Ein positives Beispiel erklärt anhand der Erkrankung Anämie: Patient*innen mit Eisenmangel würden in die ÖGK-Gesundheitszentren überwiesen, dort behandelt und damit das Krankenhaus entlastet werden. Die über das Gesundheitstelefon 1450 Beratungen für Patient*innen zur korrekten Arztwahl seien ebenfalls „sinnvoll“, so Laschan. Auch bei der Medikation würden immer wieder Widersprüchlichkeiten aufscheinen, etwa im Wechselspiel zwischen niedergelassenen Ärzt*innen und dem behandelnden Krankenhaus. „Diese mangelnde Vernetzung muss dringend geändert werden“, forderte Laschan. Zumindest die Diagnosen würden im niedergelassenen Bereich bereits erfasst und seien digitalisiert abrufbar. Laschan verlangte ebenfalls eine Änderung in der Struktur der Ombudsstellen – „auch dort passieren Fehler, dafür wären Entschuldigungen gegenüber den Patientinnen und Patienten mehr als angebracht“, so Laschan. Sie verstehe auch nicht die Widersprüchlichkeiten etwa im MRT-Sektor: „Kassenpatienten müssen längere Zeit warten, aber jemand, der zahlt, wird sofort behandelt. Das ist eine Zwei-Klassen-Medizin“, hielt Laschan fest. Ein Blick nach Deutschland zeige, dass durch die dortige Privatisierung der öffentlichen Spitäler sogar eine Mehr-Klassen-Medizin entstanden sei: „Dort wird jede Untersuchung zuerst auf die Kosten überprüft und nicht in ersten Linie auf medizinische Notwendigkeiten. Achten wir in Wien darauf, dass die Medizin den Menschen zugewandt bleibt und nicht gewinnorientiert wird“, schloss Laschan.

LAbg. Dr. Michael Gorlitzer, MBA (ÖVP) meinte, der vorliegenden Bericht zeige die Spitze des Eisbergs im Gesundheitsbereich. Von rund 8.500 Anfragen und Eingaben, die im Bericht 2023 Erwähnung finden, hätten nur zehn Prozent Behandlungsfehler betroffen, davon seien 44 Prozent noch in weiterer Bearbeitung. „Das zeigt die steigenden Komplexität im ganzen Gesundheitssystem, auch verursacht durch eine höhere Erwartungshaltung der Patientinnen und Patienten“, sagte Gorlitzer. Viel stärker als zuvor vertreten im Bericht seien Beschwerden über Wartezeiten und fehlendes Personal. Das seien strukturelle Probleme, „die hausgemacht sind, weil in Wien gut funktionierende Abteilungen geschlossen und zusammengelegt werden. In den neuen Stationen werden aber die notwendigen Strukturen und Ressourcen nicht zur Verfügung gestellt“. Die derzeitige Zwei-Klassen-Medizin werde sich verstärken, da die im öffentlichen Bereich das Angebot verknappt werde, prophezeite Gorlitzer. Der Bericht zeige auch den Bedarf nach mehr Long-Covid-Ambulanzen. Der Vorschlag von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ), dass Ärzte mehr Stunden im öffentlichen Spital und nicht in der Privatordination arbeiten, sei eine „Nebelgranate – das betrifft nur eine geringe Zahl und bewirkt faktisch keine Änderung “. Die ÖVP sei im Gegenteil dazu für Anreize für das Personal anstelle von Verboten. Gorlitzer vermisste im Bericht die Meldungen über Gefährdungsanzeigen, die im Bericht des Jahres 2022 noch ein großes Kapitel ausgemacht hätten. Gorlitzer brachte einen Beschlussantrag mit der Forderung ein, den Beitrag für den Entschädigungsfonds auf einen Euro pro Tag zu erhöhen.

LAbg. Mag. (FH) Jörg Konrad (NEOS) bezeichnete die Tätigkeit der Anwaltschaft als wichtige Grundlage für die politischen Entscheidungsträger in der Gesundheitspolitik und die Anwaltschaft selbst als wichtiges Bindeglied zwischen der Bevölkerung und allen Akteuren im Gesundheitsbereich. Der Gesundheitssektor sei sehr komplex und mit einer Vielzahl von Akteuren zersplittert, deswegen sei besonders viel Feingefühl notwendig – „dieses Feingefühl besitzen Sie und Ihr Team“, sagte Konrad in Richtung Pflege- und Patient*innenanwalt Jelinek. Der Bericht verweise darauf, dass der Personalmangel im Gesundheitswesen zu langen Wartezeiten führen würde. Konrad forderte die Bundesregierung auf, eine einheitliche Finanzierung aus einer Hand zu schaffen und die ÖGK in die Pflicht zu nehmen, um die Rahmenbedingungen für ein modernes ärztliches Berufsleben zu schaffen. Der Bericht zeige ebenfalls einen Mangel an Kassaplätzen für Patient*innen mit psychischen Problemen. Darunter würden vor allem Kinder und Jugendliche leiden. Konrad forderte eine verstärkte Prävention und Aufklärung an den Schulen, das würde auch Kosten im Gesundheitsbereich einsparen.

Der Wiener Pflege- und Patient*innenanwalt Dr. Gerhard Jelinek bedankte sich einleitend für die lobenden Worte im Landtag. 2023 habe etliche Ereignisse im Gesundheitsbereich gebrachte, darunter durchaus auch positive wie gute Gehaltsabschlüsse oder das Nachlassen der Auswirkungen der Covid-Pandemie. Es findet sich im Bericht eine Steigerung bei Beschwerden über Behandlungsfehler sowie die Steigerung der Entschädigungssumme für Patient*innen auf 1,7 Millionen Euro, mit dem Härtefonds auf knapp 3 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Mehr als die Hälfte der angefallenen Beschwerden seien bereits 2023 erledigt worden, bilanzierte Jelinek. Die Beschwerden über Wartezeiten auf OP-Terminen, mehrmalige Verschiebungen von OP-Terminen und Klagen über fehlende und mangelnde Kommunikation mit kompetentem Personal seien ebenfalls gestiegen. Jelinek erwähnte, das psychiatrische Behandlungsplätze fehlen würden; ebenso Long-Covid-Ambulanzen, die Patient*innen im Alltag entlasten würden: „Weil das Thema Corona eine medizinische Querschnittsmaterie ist, finden die Patient*innen im niedergelassenen Bereich nicht immer die richtige Behandlung. Seine Empfehlungen zum Thema „Zwei-Klassen-Medizin“ im Bericht: Erhöhung der Student*innen-Zahlen, Stärkung von Präventionsmaßnahmen in Schulen und einen effizienteren Einsatz der vorhandenen Ressourcen. Auch die Beschwerden über Wartezeiten im niedergelassenem Bereich oder bei Laboren hätten im Bericht Niederschlag gefunden, so Jelinek. Fehlende Therapieplätze im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin würden Langzeitfolgen für die gesamte Gesellschaft verursachen – „damit tun wir uns nichts Gutes“, so Jelinek.

Der Patientenentschädigungsfonds sei ein großartiges Instrument, der Beitrag dazu sei aber seit 25 Jahren nicht valorisiert worden. Er habe den Gesundheitsminister aufgefordert, eine moderate Anpassung zu veranlassen. Die Finanzierung des könnte aber zum Erliegen kommen, wenn die stationären Aufenthalte in Kliniken zurückgehen, befürchtete Jelinek. Privatkliniken und der niedergelassene Bereich seien von der Wirkung des Fonds ausgenommen, hier solle eine Vereinheitlichung gefunden werden, wünschte Jelinek. Die Anwaltschaft habe Vollmachtformulare entwickelt, um die Verarbeitung von Patient*innen-Daten zu ermöglichen. Das sei aber vielen Menschen zu beschwerlich und sie würden den Kontakt abbrechen. Hier wünschte Jelinek eine Änderung zu einer mündlichen Bevollmächtigung. Auch im Bereich der Pflegeheime sei eine „intensive“ Personaldebatte erforderlich, sagte der Wiener Pflege- und Patient*innenanwalt Jelinek. Abschließend kritisierte Jelinek, dass der Bericht nach der Präsentation im zuständigen Ausschuss vorab öffentlich bekannt geworden sei.

Abstimmungen: Der Bericht wurde vom Landtag einstimmig zur Kenntnis genommen. Der Antrag der ÖVP betreffend Optimierung des Entlassungsmanagements wurde einstimmig an den zuständigen Ausschuss zugewiesen. Ein weiterer ÖVP-Antrag betreffend Erhöhung des Betrags des Entschädigungsfonds fand keine erforderliche Mehrheit. (Forts.) nic

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