70 Jahre Staatsvertrag: Klubobmänner debattieren bei Festakt Souveränität, Neutralität und Bedeutung der Erinnerung

Bundesratspräsidentin Eder-Gitschthaler sieht Staatsvertrag als Auftrag, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen

Beim heutigen Festakt anlässlich des 70-jährigen Jubiläums des Staatvertrags kamen nach den aktuellen und ehemaligen Nationalratspräsident:innen auch die Obmänner bzw. stellvertretenden Obmänner der Nationalratsklubs zu Wort. Norbert Nemeth (FPÖ), August Wöginger (ÖVP), Philip Kucher (SPÖ), Yannick Shetty (NEOS) und Werner Kogler (Grüne) tauschten sich über die Bedeutung des Staatsvertrags und der darin festgehaltenen Wertvorstellungen für das alltägliche politische Handeln aus. Moderator Tobias Pötzelsberger fragte diese dabei auch nach ihren Perspektiven auf die Themen Souveränität, Neutralität und Minderheitenschutz.

In ihren Abschlussworten erinnerte Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler an den Geist von 1955 und bezeichnete den Staatsvertrag als Auftrag, das Erreichte zu bewahren und es „klüger, gerechter und menschlicher“ zu machen.

KLUBOBMÄNNER DER PARLAMENTSPARTEIEN ÜBER DIE BEDEUTUNG DES ERRUNGENEN FÜR DIE GEGENWÄRTIGE POLITIK

Für August Wöginger (ÖVP) stellt der Staatsvertrag „kein Relikt aus der Vergangenheit“ dar, sondern ein „lebendiges Bekenntnis zur österreichischen Identität und Unabhängigkeit“. Er erinnerte an das lange Ringen um den Abschluss des Vertrages und die Rolle des Parlaments bei der Erreichung der Eigenständigkeit. Nur auf dieser Basis habe Österreich „durch Fleiß und Leistung seinen Wohlstandskurs“ einschlagen können, erklärte Wöginger. Es sei daher essenziell, die Erinnerung daran zu pflegen, denn wer die Geschichte nicht kenne, könne auch die Zukunft nicht gestalten. Dabei spiele das Parlament als „Austragungsort politischer Ideen“ eine entscheidende Rolle – auch wenn es aufgrund der Emotionalität der Abgeordneten dabei nicht immer zugehe, „wie bei der heiligen Messe“, so Wöginger.

Das Parlament über alle Parteigrenzen hinweg „als Ort des Diskurses hochleben zu lassen“ und dies nicht „als Streit negativ zu framen“, wünschte sich NEOS-Klubobmann Yannick Shetty. Er begrüßte die Öffnung des Parlaments für die Bevölkerung nach der Wiedereröffnung und bezeichnete es als Auftrag der Abgeordneten, vermehrt auf die Menschen zuzugehen. So könne laut Shetty sowohl der Entkopplung zwischen Politik und Bevölkerung als auch der gesellschaftlichen Polarisierung entgegengewirkt werden. An den Staatsvertrag und dessen Entstehungsgeschichte zu erinnern sei „wichtiger denn je“, zumal ein zentraler Wert von damals, die Wahrung des Friedens, auch heute „leider wieder zur Disposition steht“. Es sei zu begrüßen, dass die Neutralität nicht in Frage gestellt werde, so Shetty. Für die nächste Generation stelle sich jedoch die Frage, wie diese für Österreichs Sicherheit „sinnvoll interpretiert“ werden könne.

Jeder Zeitzeuge und jede Zeitzeugin, die von uns gehe, nehme auch wertvolle persönliche Erinnerungen mit, sagte SPÖ-Klubobmann Philip Kucher. Diese Erinnerungen zu bewahren und die Geschichte „in die Zukunft zu transportieren“, um daraus Lehren ziehen zu können, müsse als parteiübergreifende Aufgabe verstanden werden. Die Wahrung der Errungenschaften des Staatsvertrages müsse das gemeinsame Ziel sein. Dazu gehöre auch der Schutz der Minderheitenrechte, erklärte Kucher und erinnerte an das Schicksal der Kärntner Slowen:innen. Die Qualität einer Demokratie zeige sich nämlich daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgehe, so Kucher.

Der Satz „Österreich ist frei“, den Leopold Figl nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags aussprach, sei insbesondere für die Freiheitliche Partei von „hoher symbolischer Bedeutung“, erklärte Norbert Nemeth (FPÖ). Die Wahrung sowohl der individuellen als auch der kollektiven Freiheit der Republik sei zentraler Wert ihrer Programmatik. „Mit Sorge“ sehe er daher, wie die damals errungenen Souveränitätsrechte nun „peu à peu abgegeben“ würden, erklärte Nemeth und verwies auf die „Völkerwanderung“, die in Österreich „nie beschlossen“ worden sei, und auf aus seiner Sicht kommende Eingriffe der WHO in die Kompetenzen der Nationalstaaten. Er sprach von einem „schleichenden Abfluss“ dieser Kompetenzen in Richtung supranationaler Organisationen.

Souveränität und Freiheit seien nicht nur juristisch, sondern auch „materiell“ zu verstehen, entgegnete Werner Kogler (Grüne). Im Kontext der Globalisierung stelle es für die Bürger:innen Österreichs „in Wahrheit einen Souveränitätsgewinn“ dar, wenn es sich etwa in der EU „größer organisiert“. Im Verbund der europäischen Gemeinschaft könne es seine Interessen besser vertreten, als wenn es sich auf nationalstaatliche Ebene „rückverzwergt“, konstatierte Kogler. Auch für den EU-Beitritt sei neben der Souveränität, Freiheit und sozialen Marktwirtschaft der Staatsvertrag die Basis. Als Voraussetzung dafür habe sich Österreich zur Neutralität verpflichtet. Heute stehe die Republik laut Kogler vor dem Problem, dass es sich auch angesichts von „Angriffen von innen“ wehrhaft zeigen müsse. Die Friedensparole „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ formulierte Kogler um in „Stell dir vor, es ist Frieden und einer macht alles hin“.

EDER-GITSCHTHALER ÜBER DEN STAATSVERTRAG ALS „HANDSCHLAG ZWISCHEN DEN GENERATIONEN“

1955 sei nicht nur ein historisches Datum, sondern markiere einen mutigen Neubeginn, mit dem Österreich wieder atmen konnte, nach Jahren der Fremdherrschaft, des Leids, des Schweigens, erklärte Bundesratspräsidentin Eder-Gitschthaler in ihren Abschlussworten. Gleichsam stelle der Staatsvertrag nicht nur ein politisches Dokument dar, sondern einen „Handschlag zwischen den Generationen“. Er bedeute einen Auftrag der Generation des Krieges an die Generation des Friedens, das Erreichte zu bewahren und es „klüger, gerechter und menschlicher“ zu machen.

Eder-Gitschthaler hob in diesem Sinne die Bedeutung des Bundesrats als „Forum der Verständigung“ hervor und erinnerte an die Architekten des Staatvertrages Leopold Figl, Julius Raab, Adolf Schärf und Bruno Kreisky, deren Fähigkeit zur parteiübergreifenden Verständigung Österreich aus der Fremdherrschaft geführt habe – nicht nur für die Partei, die Schlagzeile oder das eigene Ego, sondern für das Land. Gerade in Zeiten der globalen Krise brauche es diesen Geist der Verständigung und den Willen zur gemeinsamen Verantwortung wieder. Denn „Österreich ist stark“, so die Bundesratspräsidentin, „weil es Menschen gibt, die Verantwortung übernehmen“. (Schluss Festakt) wit

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