
TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 7. November 2018 von Karin Leitner „Was wurde eigentlich aus Rendi-Wagner?“
Innsbruck (OTS) – Von Christian Kerns Nachfolgerin an der SPÖ-Spitze
ist bisher nicht viel zu hören gewesen. Rührt die Zurückhaltung
daher, dass sie noch nicht gewählt ist, sollte sie das ihre
Parteifreunde wissen lassen.
Funktionäre atmeten auf. Das Tohuwabohu rund um den Abgang von
Christian Kern als SPÖ-Chef sei vorbei, die öffentliche Kritik von
Genossen wie Wiens Bürgermeister Michael Ludwig verstummt. Jetzt
könne sich Kerns Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner der inhaltlichen
Arbeit widmen – und den Koalitionären Paroli bieten. Das war im
Oktober von vielen an der Basis zu vernehmen.
Funktionäre sind enttäuscht. Weil von Rendi-Wagner kaum etwas zu
hören ist.
Außer der einen oder anderen Rede im Parlament – und die hat sie
schon als einfache Abgeordnete gehalten –, dem einen oder anderen
Interview – mit wenig Substanziellem – hat es von ihr bis dato
tatsächlich nichts gegeben. Dabei hätte eine Rote ob der
rechtskonservativen Politik der Regierenden ein breites
Betätigungsfeld. Es ist noch unbeackert.
Auch damit, dass sie die erste Frau ist, die die Sozialdemokraten
führt, hat Rendi-Wagner bisher nicht zu punkten vermocht. Bei einer
Polit-Debatte im ORF, bei der auch die Frontleute der
Oppositionsparteien geladen waren, saßen die Chefin der NEOS und jene
der Liste Pilz. Rendi-Wagner überließ den Auf- und Vortritt einem
Mann aus ihren Reihen, dem neuen Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda.
Im Gegensatz zu ihr ist dieser schon aufgefallen – aber nicht zum
Vorteil seiner Partei. Zur Schadenfreude der Polit-Gegner sorgte
Drozda wegen einer teuren Armbanduhr für Debatten, ebenso wegen einer
Leihgabe des Belvedere, die er in die Parteizentrale hat
transportieren lassen, obwohl er sie für sein vormaliges Büro im
Kanzleramt bekommen hatte. Das brachte auch Rendi-Wagner in
Erklärungsnot.
In dem Fall kam sie nicht umhin, sich zu äußern. Warum hält sich
Rendi-Wagner anderweitig derart zurück? Fürchtet sie, Fehler zu
machen, weil sie nicht routiniert ist im Polit-Metier? Oder liegt es
daran, dass sie als SPÖ-Obfrau seit Ende September zwar designiert
ist, aber erst Ende November beim Parteitag als solche zur Wahl
steht? Ist das der Grund für das asketische Verhalten, sollte sie das
Parteigängern und Sympathisanten sagen.
Kürzlich hat Rendi-Wagner nämlich kundgetan, aus Kerns Schatten
treten und als eigene Politiker-Persönlichkeit wahrgenommen werden zu
wollen.
Mit diesem Schritt zuzuwarten, bis sich die SPÖ-Delegierten
mehrheitlich für sie entscheiden, mag von Respekt zeugen – und
löblich sein. Die höchste Vertreterin der größten Oppositionspartei
dürfte es sich aber nicht einen Tag lang leisten, zum Umbau des
Staates, den ÖVP und FPÖ begonnen haben, zu schweigen.
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