
Gemeinsames Bekenntnis zu „Nie wieder“ bei Empfang fürHolocaust-Überlebende im Parlament
Kurz: Österreich von heute ist ein anderes Österreich
Wien (PK) – Der Aufruf zu einem gemeinsamen Bekenntnis „Nie wieder“
und zu einem Zusammenleben in Frieden und gegenseitigem Respekt stand
im Zentrum der Rede von Rabbi Arthur Schneier aus New York anlässlich
des Empfangs für Überlebende des Holocaust im Parlament. Der in Wien
geborene Rabbiner Arthur Schneier überlebte mit seiner Mutter den
Krieg in Ungarn. Sein Großvater, Joseph Schneier, wurde 1941 nach
Theresienstadt und von dort in ein Todeslager bei Lublin deportiert.
Seine Großeltern in Ungarn, die 1944 deportiert wurden, fanden den
Tod in Auschwitz-Birkenau. „Wenn ich ihre Gräber besuchen will, muss
ich die Krematorien dort besuchen“, sagte Rabbi Schneier.
Bundeskanzler Sebastian Kurz bekräftige in seiner Rede die
historische Verantwortung Österreichs und zeigte sich in diesem Sinn
über die bevorstehende Errichtung einer Gedenkstätte in Wien mit den
Namen der in der NS-Zeit ermordeten österreichischen Jüdinnen und
Juden erfreut. Ein wesentlicher Teil der Kosten des von Kurt Y.
Tutter initierten Projekts wird vom Bund übernommen.
Rabbi Arthur Schneier: Nur gemeinsam können wir den Hass überwinden
„Ich bin ein Wiener, aber ich wurde aus Wien vertrieben. Ich habe
Wien jedoch nie verlassen“, sagte Rabbi Schneier zu Beginn seiner
Ansprache. Er sei diesmal mit besonders schwerem Herzen und voller
Schmerz nach Wien gereist, nach einem Besuch im trauernden Pittsburgh
und bei den Trauernden der Synagoge „Ets Chajim – Baum des Lebens“.
Das Massaker in Pittsburgh habe ihn an die unzähligen Wiener Jüdinnen
und Juden erinnert, die ermordet wurden, und an die Synagoge seiner
Wiener Kindheit, den Polnischen Tempel in der Leopoldsgasse. Er habe
miterlebt, wie die Synagoge in der Nacht von 9. auf 10. November 1938
in Brand gesteckt wurde. Wenige Tage vor seinem achten Geburtstag sei
seine schöne Kinderwelt in Wien zusammengebrochen, erinnerte sich
Rabbi Schneier. Über Nacht wurde er zum Außenseiter in seiner
Heimatstadt.
Als Überlebender des Holocaust sehe er sich besonders verpflichtet,
für eine friedliche Koexistenz zu arbeiten. „Die Narben sind da, aber
es war auch mein fester Entschluss, Brücken des Verstehens zu bauen
und jedes Mitglied der Menschenfamilie zu respektieren, ohne Ansehen
von Glauben, Rasse, von Mehrheit oder Minderheit.“ Die 1965 von ihm
gegründete Conscience Foundation, ein Zusammenschluss von
Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und den Religionen, trage
dazu bei, Religionsfreiheit, Menschenrechte und das wechselseitige
Verständnis sowie die Beziehungen von Mensch zu Mensch zu stärken und
insbesondere religiöse Stätten als Teil eines kostbaren kulturellen
und zivilgesellschaftlichen Erbes zu schützen. Gemeinsamkeit sei
dabei zentral, denn, so sagte Rabbi Schneier: „United we prevail –
divided we fail. Vereint gegen den Hass werden wir bestehen. Entzweit
werden wir untergehen“.
Er sei in seinem Leben Zeuge der Bestie Mensch, aber auch des Besten
im Menschen geworden. Er glaube jedoch fest daran, dass das Beste im
Menschen die Oberhand behalten wird. Es gelte, sich von der
Vergangenheit nicht lähmen zu lassen. Er habe Wien als eine Stadt
kennengelernt, die eine Brücke zwischen Ost und West sein kann, als
Ziel und Durchgangsort für Flüchtlinge, etwa 1956 aus Ungarn und
später. Für die Juden, die aus Russland emigrieren konnten, war Wien
ein wichtiger Durchgangspunkt auf ihrem Weg nach Israel. Auch die
Vereinten Nationen sehen Wien als eine Brücke, unterstrich Rabbi
Schneier.
Die Bibel verpflichte zur Erinnerung an Amalek, die Feinde des
jüdischen Volkes und deren Nachfolger, die Verbrechen gegen die
Menschlichkeit begangen haben. Die Leugnung des Holocaust schmerze
die Überlebenden des Holocaust in besonderem Maße. Nach den
Erfahrungen des Holocaust habe er nicht gedacht, dass noch einmal
über das Thema Antisemitismus gesprochen werden müsse. Leider habe er
sich geirrt. Dem Antisemitismus würden aber nicht nur Jüdinnen und
Juden zum Opfer fallen, gab der Redner zu bedenken. Antisemitismus
sei vielmehr ein Indikator dafür, wie eine Gesellschaft andere
religiöse und ethnische Minderheiten behandle. Rabbi Schneier
erinnerte an die Worte im dritten Buch Moses: „Bleibe nicht untätig
angesichts des Blutes deines Nächsten.“ Schweigen sei keine Lösung,
es ermuntere lediglich die Täter.
Die Appeal of Conscience Foundation habe daher eine Versammlung der
Einheit gegen den Hass in seiner Synagoge, der Park East Synagogue,
zusammengebracht, um jede Form des Hasses zurückzuweisen. Der
Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres habe dabei
zum verstärkten Kampf gegen Antisemitismus aufgerufen und ebenso wie
geistliche Anführer von katholischen, protestantischen,
griechisch-orthodoxen und muslimischen Gemeinden erklärt: „Wir stehen
vereint“. Die Geschichte lehre, dass Uneinigkeit und Spaltung,
Teilung und Hass die falschen Antworten auf die vielfältigen Fragen
seien, die das Zusammenleben in einer Gesellschaft an uns richte.
Das Österreich von heute sei nicht das Österreich von 1938. Er danke
Bundeskanzler Sebastian Kurz dafür, dass er sich zu einer
Nulltoleranzpolitik gegenüber dem Antisemitismus bekannt und sein
Land darauf verpflichtet habe. Österreich habe die Pflicht, seine
jüdischen Gemeinden gegen antisemitische Bestrebungen zu verteidigen.
Auch ein kleines Land wie Österreich könne in der weltweiten
Konfliktlösung im Kampf gegen den Antisemitismus und jede Form von
Hass eine wichtige Rolle spielen, sagte Rabbi Schneier, der dafür das
Bild eines Schleppbootes und der Lotsen verwendete, ohne deren
Unterstützung kein Ozeanriese einen Hafen anlaufen könne. Große
Mächte brauchten solche Lotsen, und Österreich habe diese Rolle
wieder und wieder übernommen.
Er sei überzeugt, dass die „schweigende Mehrheit“ nicht den Hass und
die Teilung wolle, sondern ein Zusammenleben in Frieden und
gegenseitigem Respekt. Was vergangen sei, könne nicht verändert
werden. Aber es könne und müsse daran erinnert und daraus gelernt
werden. „Arbeiten wir zusammen an einem klaren Bekenntnis zu: ‚Nie
wieder!'“ schloss Rabbi Schneier. „Wir haben heute die Möglichkeit,
die Zukunft zu gestalten für alle Menschen, die Blätter am Baum des
Lebens. Gemeinsam können wir uns einsetzen für Friede, Freiheit,
Demokratie und Menschenrechte. Gott segne unsere gemeinsame Arbeit!“
Das Bekenntnis zum „Nie wieder“ wurde auch von den anwesenden
Regierungsmitgliedern und ParlamentarierInnen bekräftigt, sie
wiederholten auf Aufforderung Schneiers gemeinsam mit den anderen
TeilnehmerInnen des Empfangs die Parole.
Kurz: Österreich hat auch Verantwortung gegenüber Juden in Israel
Nach Schneier zu Wort kam Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er betonte
dass sich Österreich seiner historischen Verantwortung bewusst sei.
„Wir haben uns zu spät, aber doch mit unserer Geschichte
auseinandergesetzt.“ Das Österreich von heute sei ein anderes als
damals. Das wolle man auch den Überlebenden des Holocaust vermitteln.
Kurz bedankte sich in diesem Sinn ausdrücklich dafür, dass die
israelischen Gäste der Einladung nach Österreich gefolgt sind. „Sie
erfüllen uns durch ihr Kommen genauso einen Herzenswunsch.“
Es sei Aufgabe der Republik Österreich, das jüdische Leben in
Österreich aktiv zu unterstützen und gegen jede Form von
Antisemitismus zu kämpfen, bekräftigte Kurz. Antisemitismus dürfe in
Österreich und in Europa keinen Platz haben. Die Verantwortung des
Landes ende aber weder an der österreichischen noch an der
europäischen Grenze, auch gegenüber Juden in Israel habe Österreich
Verantwortung.
Namensmauern-Gedenkstätte im Ostarrichi-Park steht kurz vor der
Realisierung
Erfreut zeigte sich Kurz darüber, dass die Namensmauern-Gedenkstätte
für die in der Shoah ermordeten Jüdinnen und Juden aus Österreich
kurz vor der Realisierung steht. Die Regierung finanziere das Projekt
gerne, weil es wichtig sei, einen nachhaltigen Ort des Gedenkens zu
haben, der weit über das Gedenkjahr 2018 hinausstrahlt, sagte er.
Seinen Dank richtete Kurz an den Initiator des Projekts, Kurt Y.
Tutter, der zwanzig Jahre am Projekt drangeblieben sei.
Die genaue Genese des Projekts schilderte Tutter selbst. Er und der
von ihm gegründete Verein bemühe sich seit 19 Jahren um die
Realisierung der Gedenkstätte, erzählte er. Auch wenn er oft auf
spürbares Desinteresse gestoßen sei, habe er sich nicht entmutigen
lassen. Fahrt aufgenommen hat das Projekt ihm zufolge 2011 mit der
grundsätzlichen Zusage der Wiener Vizebürgermeisterin Maria
Vassilakou, einen Ort in Wien dafür zu suchen.
Inzwischen ist laut Tutter auch die Finanzierungsfrage weitgehend
gelöst. Die Bundesregierung habe nicht nur zugesagt, 50% der
Gesamtkosten der Gedenkstätte von 5,3 Mio. € zu übernehmen, sondern
auch eine Finanzierungsgarantie für die noch aufzutreibenden Mittel
abgegeben. An dieser Entscheidung sei auch Nationalratspräsident
Wolfgang Sobotka tatkräftig beteiligt gewesen. Somit habe man bereits
mit konkreten Vorarbeiten wie einer technischen Prüfung des Standorts
beginnen können.
Errichtet werden soll die Gedenkstätte im Ostarrichi-Park im 9.
Wiener Gemeindebezirk gegenüber der Österreichischen Nationalbank und
nahe des Universitäts-Campus im Alten AKH. Der Wiener Bürgermeister
Michael Ludwig habe diesen Ort im Oktober bestätigt, sagte Tutter.
Geplant ist ein Kreis steinerner Namenstafeln mit nur einem Eingang,
in dem Nachkommen ungestört die Namen ihrer Familienmitglieder
suchen, die Buchstaben mit der Hand berühren und ein Gebet sagen
können. Auf einer „grünen Insel“ im Inneren des Kreises sollen Bäume
und Sträucher gepflanzt werden.
Auch Tutters Eltern sind in der NS-Zeit ermordet worden, nachdem
ihnen 1939 zunächst die Flucht nach Belgien gelungen war. Er selbst
hat die Shoah dank einer belgischen Familie überlebt, die ihn und
seine jüngere Schwester aufgenommen hatte.
Im Anschluss an die Ansprachen im Großen Redoutensaal gab es zu Ehren
der Überlebenden der Shoah einen Empfang in der Hofburg, der von der
Generalsekretärin des Nationalfonds Hannah Lessing moderiert wurde.
(Schluss Empfang) sox/gs
HINWEIS: Fotos von der Gedenkveranstaltung finden Sie auf der Website
des Parlaments unter www.parlament.gv.at/SERV/FOTO/ARCHIV .
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