Handarbeit gegen das Vergessen – neue Ausstellung „Eingestickt“ im hdgö

EXAKT AM 85. TODESTAG UND AM HEUTIGEN INTERNATIONALEN TAG DER MENSCHENRECHTE ERÖFFNET DIE AUSSTELLUNG EINGESTICKT. ZUR ERINNERUNG AN 67 MENSCHEN, DIE 1940 IN HARTHEIM ERMORDET WURDEN IM HAUS DER GESCHICHTE ÖSTERREICH (HDGÖ). DIE KÜNSTLERISCHE INSTALLATION VON FOTOGRAFIN ULRIKE WIESER UND HISTORIKERIN MELANIE DEJNEGA NÜTZT DAS HANDWERK DES STICKENS, UM OPFER VON NS-MEDIZINVERBRECHEN IN DEN FOKUS ZU RÜCKEN, DEREN LEBEN UND TOD IN FAMILIENGESCHICHTEN VERDRÄNGT UND IN DER ERINNERUNGSKULTUR WEITGEHEND VERGESSEN WURDEN. DIE AUSSTELLUNG ENTSTAND IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM HDGÖ UND IST BIS 10. MAI 2026 IM MUSEUMSFOYER ZU SEHEN.

Als Künstlerin Ulrike Wieser in alten Familienfotos stöberte, stieß sie auf das Porträt eines Mädchens, von dem sie zuvor kaum etwas wusste: ihre Großcousine Elfriede „Elfi“ Schlager. Elfi wurde am 12. Oktober 1930 in Salzburg geboren, vermutlich mit Trisomie 21, und lebte später in der „Heil- und Pflegeanstalt“ St. Josef-Institut in Mils (Tirol). Von dort wurde sie am 10. Dezember 1940 gemeinsam mit 66 weiteren Bewohner*innen in die NS-Tötungsanstalt _Hartheim deportiert und mit Giftgas ermordet_. So enden alle der 67 Biografien, die für die Ausstellung recherchiert und rekonstruiert wurden. Daneben stehen 67 Fotografien – Porträts, sofern sie vorhanden sind, in den meisten Fällen jedoch nur Aufnahmen der Geburtsorte. Sie sind bestickt mit den Namen der Ermordeten und Blumenmotiven, die mit diesen Orten verbunden sind.

SPURENSUCHE ZWISCHEN HARTHEIM UND TIROL

Die Recherche nach den 67 Lebensgeschichten führte Wieser und Dejnega zum Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim, zu Ortschronist*innen und zu Angehörigen. Viele der Ermordeten waren Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, die bereits lange vor ihrem gewaltsamen Tod aus ihrem familiären Umfeld verdrängt und verschwiegen worden waren. Die zahlreichen Lücken im persönlichen und kollektiven Gedächtnis spiegeln sich in den fragmentarischen Biografien wider, die durch diese Recherche entstanden sind.

„_Eingestickt__ macht das generationenübergreifende Schweigen sichtbar und versucht es gleichzeitig zu beenden. Die Opfer der NS-Medizinverbrechen stehen bis heute oft am Rand der Erinnerung. Diese Ausstellung rückt sie ins Zentrum_“, sagt Monika Sommer, Gründungsdirektorin des hdgö.

In der NS-Tötungsanstalt Schloss Hartheim ermordete medizinisches Personal zwischen Mai 1940 und November 1944 rund 30.000 Menschen. Der Großteil von ihnen wurde aus psychiatrischen Kliniken, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und Fürsorgeheimen deportiert. Ihre Angehörigen erhielten Sterbeurkunden mit gefälschten Angaben zu Datum und Todesursache. In Sichtweite des Schlosses wurden ab Ende der 1960er Jahre im „Institut Hartheim“ Menschen mit Behinderungen betreut, im St. Josef Institut in Mils wurde der Betrieb nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt.

HANDARBEIT ALS PRAXIS DES GEDENKENS

Die Ausstellung setzt dem Vergessen eine stille, beharrliche Praxis entgegen: Sticken. In präziser Handarbeit hielt Ulrike Wieser die Namen der Ermordeten fest und fügte den Fotografien mittels Stickgarn neue Farben hinzu. „_Die Fotos sind unscharf gehalten, als Ausdruck unseres Unwissens über das Leben der Menschen_“, erklärt Fotografin und Künstlerin Ulrike Wieser. Und weiter: „_Sticken ist ein meditativer Prozess, es lässt viel Zeit für Gedanken an die getöteten Personen, Erinnerung an Unbekannte. Sticken kann schmerzhaft sein, das Durchstechen des Bildes benötigt Kraft. Mein Sticken ist ein Kontrast zum Schwarz-Weiß Foto, es ist gedämpft farbenfroh, bunt, wie das Leben der Menschen sein hätte können._“

Kuratorin und Historikerin Melanie Dejnega stieß während ihrer Recherchen immer wieder auf das Problem, dass zu vielen der Personen nur äußerst wenige Angaben existieren, häufig fehlen sogar grundlegende Daten wie das Geburtsdatum. „_Manche von ihnen waren im fortgeschrittenen Lebensalter und hatten bereits eine jahrzehntelange Odyssee durch unterschiedliche Heil-, Pflege- und Krankenanstalten hinter sich. Andere waren im Erwachsenenalter und kamen mit sehr unterschiedlichen Lebenserfahrungen ins St. Josef-Institut. Wieder andere waren Kinder aus unterschiedlichen sozioökonomischen Verhältnissen, die den Schwestern zur Obhut und Pflege übergeben worden waren“, _sagt Dejnega._ „In den Biografien der Ermordeten kommt beides zutage: Die Unterschiedlichkeit der individuellen Lebensgeschichten und ihr identes Ende_.“
BILDER UND TEXT ZUR AUSSTELLUNG: https://hdgoe.at/presse-eingestickt

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