Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 21. November 2019. Von MANFRED MITTERWACHAUER. “Brüchig wie das ewige Eis”.

Innsbruck (OTS) – Im Kampf für bzw. gegen die Gletscherehe Pitztal/Ötztal offenbaren sich gleich mehrere Bruchlinien in der Haltung der Tiroler zum Tourismus. Die Hoffnung der Politik, diese mannigfachen Spaltungen kitten zu können, ist trügerisch.

Ein Aus für den Skigebietszusammenschluss von Ötztaler mit Pitztaler Gletscher wird das Weltklima nicht retten. Da hat Bergbahnenchef Jakob Falkner Recht. Aber ebenso wenig wird das Pitztal im Fall einer Genehmigung mit einem Schlag aller (wirtschaftlichen) Entwicklungssorgen ledig sein. Die von Gegnern wie Befürwortern ohne erkennbares Zeichen auf Versöhnung geführte Debatte zeigt schonungslos auf, wie gespalten die Bevölkerung in Fragen des Tourismus bereits ist.
Bis zu einem rechtskräftigen Behörden-Entscheid dürften noch viele Jahre ins Land ziehen. Das hat uns das Skischaukelprojekt Kappl-St. Anton gelehrt. Allein fünf Jahre hatte es von der Umweltverträglichkeitsprüfung bis hin zum Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts gedauert. Und das Gericht gab der Skiverbindung einen Korb. Und was für einen. Gegner prophezeien der Gletscherehe ein ähnliches Schicksal. Ein „Plan B“ ist im Pitztal vorerst nicht in Sicht. Ob es überhaupt einen gibt? Zumindest wird er nicht öffentlich kommuniziert. Stattdessen wird auf Generationenverantwortung gepocht, um Druck aufzubauen. Überzeugende Alternativen können aber auch die Gegner keine bringen – ihre Folgegenerationen sind anderweitig versorgt.
Bereits die negative Volksbefragung zu Olympischen Winterspielen 2026 hat gezeigt, dass Fragen nach der touristischen Entwicklung des Landes trefflich polarisieren. Hier die Täler, deren Lebensadern über Jahrzehnte fast ausschließlich über den Massentourismus gespeist wurden. Dort die transitgeplagte Inntalfurche. Die einen wollen nicht länger „der Auspuff“ der Gästehochburgen sein, die anderen wehren sich gegen die wirtschaftliche Bevormundung aus dem Ballungsraum. Schuldig bleiben sich beide Seiten vieles.
Neben der Generationenfrage und dem Stadt-Land-Graben stellt die Klimafrage den dritten gesellschaftlichen Spalter im Tourismus dar. Eine Debatte, die derzeit in Tirol allzu oft nur eine Richtung nimmt:
Wer wird verlieren und wer gewinnen?
Im Falle von Pitztal/Ötztal ist der verfahrensrechtliche Zug in voller Fahrt. Doch die Polarisierung tut weder dem Tourismus noch dem gesellschaftlichen Klima in Tirol gut. Sowohl ÖVP als auch Grüne haben ihrer Klientel viel versprochen. Vieles, das jetzt eingefordert wird, aber kaum eingehalten werden kann. Die Fortschreibung des Seilbahn- und Skigebietsprogramms zeugt davon. Es schürt weiter Hoffnungen, Ängste und Spekulationen. Auf beiden Seiten. Dies ist ein idealer Nährboden
für weitere Graben-
kämpfe.

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