Nationalrat: Novelle zum Bundesministeriengesetz besiegelt Kompetenzverschiebungen in der Regierung

Arbeit und Wirtschaft werden wieder in einem Ressort vereint, Finanzministerium erhält neue Zuständigkeiten

Wien (PK) – Die von Bundeskanzler Karl Nehammer im Zuge der jüngsten Regierungsumbildung angekündigten Kompetenzverschiebungen haben eine wichtige Hürde genommen. Der Nationalrat stimmte in seiner heutigen Sitzung mit ÖVP-Grünen-Mehrheit dafür, die Agenden für Arbeit und Wirtschaft in einem Ressort zusammenzuführen und weitere Adaptierungen im Bundesministeriengesetz vorzunehmen. Damit könnten die geänderten Zuständigkeiten – grünes Licht vom Bundesrat vorausgesetzt – Anfang Juli wirksam werden. Kritik kommt von der Opposition: Während die SPÖ dem neuen Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft wenig abgewinnen kann, vermissen die NEOS eine echte strukturelle Trennung der Zuständigkeiten für staatsnahe Unternehmen im Post- und Telekombereich und für die Regulierung dieses Sektors. Die FPÖ kritisierte den hohen bürokratischen und finanziellen Aufwand, der mit einer Neuorganisation der Ministerien verbunden ist.

Konkret sieht die Novelle zum Bundesministeriengesetz vor, die Zuständigkeit für Tourismus aus dem Landwirtschaftsministerium herauszulösen und dem neuen Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft zu übertragen. Dort soll sich die neue Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler mit diesem Bereich befassen. Zudem muss das Landwirtschaftsministerium weitere Kompetenzen, und zwar jene für Zivildienst an das Bundeskanzleramt und jene für die Regulierung des Post- und Telekommunikationswesens sowie für das Bergwesen an das Finanzministerium, abgeben. Auch die Digitalisierungsagenden – und damit etwa die Zuständigkeit für das Bundesrechenzentrum – wandern ins Finanzministerium, wo Finanzminister Magnus Brunner mit Florian Tursky gleichfalls einen neuen Staatssekretär als Unterstützung erhalten hat.

ÖVP sieht Regierung für zweite Hälfte der Legislaturperiode gut aufgestellt

Begrüßt wurde die Neuaufstellung der Regierung von den ÖVP-Abgeordneten Wolfgang Gerstl, Friedrich Ofenauer und Irene Neumann-Hartberger. Trotz der aktuellen Krisen arbeite die Regierung “hervorragend”, sagte Ofenauer. Mit der vorgesehenen Umstrukturierung könne die Arbeit erfolgreich weitergeführt werden. Das sieht auch Neumann-Hartberger so, die sich im Übrigen überzeugt zeigte, dass die zweite Halbzeit der Legislaturperiode zu Ende gebracht wird.

An die Opposition appellierte Gerstl, gemeinsam mit den Regierungsparteien “an der Zukunft Österreichs zu bauen”. Angesichts der aktuellen Umbrüche und der damit verbundenen Herausforderungen sei es notwendig, dass alle zusammenstehen und gemeinsam an einem Strang ziehen, meinte er. Was das neue Ressort für Arbeit und Wirtschaft betrifft, erinnerte Gerstl daran, dass diese beiden Bereiche bereits unter der SPÖ-geführten Regierung von Bundeskanzler Alfred Gusenbauer in einem Ministerium vereint waren.

SPÖ und FPÖ sehen Kompetenzverschiebungen kritisch

Seitens der SPÖ sprach Andrea Kuntzl (SPÖ) dagegen von einer “unausgewogenen Novelle”. Sie kann einer Bündelung der Kompetenzen für Arbeit und Wirtschaft in einem Ressort nichts abgewinnen und befürchtet, dass die Interessen der Arbeitnehmer:innen auf der Strecke bleiben werden. Zumal sich die ÖVP als Wirtschaftspartei verstehe und für das Ressort verantwortlich sei. Zudem schmerze es ihre Partei, dass sich der Frauenanteil in der Regierung mit der Regierungsumbildung verringert habe, sagte Kuntzl. Auch auf nachteilige Auswirkungen für die betroffenen Bediensteten wies sie hin.

Generell hielt Kuntzl fest, mit der nunmehr bereits 14. Regierungsumbildung seit Anfang 2020 gebe die Bundesregierung nicht gerade ein stabiles Bild ab. Das unterstrichen auch ihre Parteikolleginnen Selma Yildirim und Sabine Schatz. Durch die ständige Beschäftigung mit sich selbst, komme die Regierung nicht dazu, sich um wesentliche Probleme zu kümmern, kritisierte Yildirim und forderte unter anderem einen Preisdeckel zur Bekämpfung der Inflation.

Susanne Fürst (FPÖ) hinterfragte generell die Sinnhaftigkeit von Kompetenzverschiebungen während einer Legislaturperiode. Schließlich seien solche Verschiebungen mit einem hohen organisatorischen, bürokratischen und finanziellen Aufwand verbunden, da nicht nur Türschilder auszutauschen seien, sondern auch Logos und Visitkarten geändert und Briefkuverts eingestampft werden müssten. Grundsätzlich unproblematisch sieht Fürst hingegen ein gemeinsames Ressort für Wirtschaft und Arbeit. Was die Regierungspolitik im Allgemeinen und die Corona-Politik im Speziellen betrifft, empfahl Fürst der ÖVP und den Grünen, sich die Schweiz als Vorbild zu nehmen.

NEOS halten Gesetzesnovelle für europarechtswidrig

Durchaus einige Verbesserungen bei der Kompetenzverteilung kann Nikolaus Scherak (NEOS) erkennen. Es sei bis heute nicht logisch, warum dem Landwirtschaftsministerium seinerzeit die Kompetenzen für Zivildienst und Telekom-Regulierung zugeschlagen wurden, meinte er. Dass seine Partei der Novelle dennoch die Zustimmung verweigere, begründete Scherak mit der aus seiner Sicht “skurillen Konstruktion”, mit der Interessenskonflikte des Finanzministers im Bereich der Regulierung des Telekommarktes vermieden werden sollen. Die Lösung “hatscht”, das hätte man besser machen können, ist er überzeugt. Zudem hält er die Regelung für europarechtswidrig.

Dem widersprach Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler. Die von der EU verlangte strukturelle Trennung zwischen Regulierungsaufgaben und der Wahrnehmung von Eigentümerinteressen im Telekombereich werde mit der vorgesehenen Vertretung von Finanzminister Magnus Brunner durch Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher in der Hauptversammlung der ÖBAG bei der Beratung bestimmter Angelegenheiten umgesetzt, erklärte sie. “Ich bin guter Dinge, dass das unionsrechtlich hält”, bekräftigte sie. Laut Eva Blimlinger (Grüne) könnte es außerdem noch ergänzende Änderungen bei Organbestellungen geben.

Zu den Kompetenzverschiebungen merkte Edtstadler an, man habe die Regierungsumbildung auch für Entflechtungen und spezielle Schwerpunktsetzungen genutzt. Das werde auch durch die Bestellung eigener Staatssekretär:innen für die Bereiche Tourismus und Digitalisierung unterstrichen. Auch die Betrauung der Jugendstaatssekretärin mit dem Zivildienstbereich und die Zusammenführung der Agenden für Arbeit und Wirtschaft hält Edtstadler für sinnvoll.

Verlängerung coronaspezifischer Sonderbestimmungen

Den Nationalrat passiert haben auch zwei von den Koalitionsparteien eingebrachte Gesetzentwürfe, mit denen weitere coronaspezifische Sonderregelungen bis Ende 2022 verlängert werden. Dabei geht es zum einen um Beschlüsse von Gemeinderäten und des Ministerrats ohne physische Zusammenkunft, den Einsatz von Videotechnologie in Verwaltungsverfahren, etwaige Einschränkungen des Parteienverkehrs, Verhaltensregeln bei Lokalaugenscheinen, die Erstreckung von Verjährungsfristen sowie vergaberechtliche Sonderbestimmungen. Zum anderen sollen auch der Unabhängige Parteien-Transparenz-Senat, die KommAustria inklusive ihrer Senate, die Presseförderungskommission sowie der Stiftungsrat und der Publikumsrat des ORF weiterhin Beschlüsse im Umlaufweg bzw. per Videokonferenz fassen dürfen. Man wisse nicht, wie sich die Pandemie entwickle, begründeten Gabriela Schwarz (ÖVP) und Eva Blimlinger (Grüne) die beiden Gesetzesinitiativen.

Die meisten Bestimmungen sind allerdings nur für Ausnahmesituationen vorgesehen, etwa wenn es aufgrund hoher Infektionszahlen zu Einschränkungen kommt. Beiden Gesetzesanträgen stimmte auch die SPÖ zu – damit war auch die notwendige Zweidrittelmehrheit für die Verlängerung des Verwaltungsrechtlichen COVID-19-Begleitgesetzes, des COVID-19-Begleitgesetzes Vergabe sowie für weitere Verfassungsbestimmungen sichergestellt. (Fortsetzung Nationalrat) gs

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.

———————————————————————

Pressedienst der Parlamentsdirektion
Parlamentskorrespondenz
Tel. +43 1 40110/2272
pressedienst@parlament.gv.at
http://www.parlament.gv.at
www.facebook.com/OeParl
www.twitter.com/oeparl

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at
© Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender