Ukraine: Außenminister Schallenberg pocht auf diplomatische Lösung

Nationalrat erörtert Konflikt an der ukrainisch-russischen Grenze

Wien (PK) – “Hände weg von der Ukraine” sei die Kernbotschaft der EU, betonte Außenminister Alexander Schallenberg heute im Nationalrat. Die Europäische Union trete für Dialog ein, toleriere aber kein Vorgehen gegen die Sicherheit ihrer Partner. Bei einer Aktuellen Stunde zum aktuellen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland war Schallenberg einig mit RednerInnen aller Fraktionen, die Situation sei sehr ernst. Die Europäische Union müsse daher auf diplomatischem Weg auf eine Lösung des Problems drängen, ohne die ukrainische Souveränität in Frage zu stellen, so Schallenberg. Weitere Aggressionen würden massive ökonomische und politische Konsequenzen für Russland haben.

Eingangs der Sitzung erinnerte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka an den jüngst verstorbenen EU-Parlamentspräsidenten David Sassoli. Er ersuchte das Plenum, dem “großen Europäer Sassoli” in einer Schweigeminute zu gedenken. Weiters wurde Abgeordnete Bettina Rausch (ÖVP) anstelle des in den Wiener Landtag gewechselten ÖVP-Politikers Karl Mahrer angelobt.

Schallenberg: Situation ist sehr ernst

Russland reizt schon seit Monaten den Westen mit Truppenaufmärschen an der ukrainischen Grenze und militärischen Übungen zusammen mit Weißrussland. Britische Waffenlieferungen an die Ukraine erzürnen wiederum Moskau. Angesichts dieser Spannungen erklärte Schallenberg, “die Situation ist tatsächlich sehr ernst”. Gleichzeitig hielt er fest, “mit Panzern und Raketen kann man nicht verhandeln”, Lösungen im Rahmen des Dialogs seien gefragt. Er honorierte folglich die laufenden Gespräche zwischen den USA und Russland, mit der Ukraine und im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die Europäische Union beteilige sich intensiv daran, unterstrich Schallenberg, der das Auftreten der Vereinigten Staaten als “Stimme der freien Welt” lobte.

“Lemberg ist näher zu Wien als Lech am Arlberg”, wies der Außenminister auch auf die geographische Nähe der Ukraine zu Österreich hin. Schallenberg bekräftigte zum einen das große Interesse der Republik, Russland als stabilen Partner zu haben, er befand zum anderen aber, Moskau untergrabe mit militärischen Drohkulissen und mit Cyberangriffen in der Ukraine diese Bestrebungen. Weite Teile russischer Forderungen wie der Ausschluss des NATO-Beitritts der Ukraine bezeichnete der Minister als unerfüllbar. Kein Drittstaat könne über die Zusammensetzung des Bündnisses bestimmen. Ungeachtet dessen müsse das Ziel sein, gemeinsam mit Moskau nachhaltige Sicherheit in Europa zu gewährleisten. Dafür brauche es unter anderem Einigungen über Waffenbeschränkungen sowie Hotlines zwischen den militärischen Apparaten auf beiden Seiten.

Moskau sei daran zu erinnern, sich völkerrechtlich an die Schlussakte von Helsinki 1975, auf der die europäische Sicherheitsordnung fuße, gebunden zu haben, verwies Schallenberg auf darin verankerte Artikel zur souveränen Gleichheit der Staaten und deren territoriale Integrität. Ein präventives Abdrehen der North Stream II-Gaspipeline von Russland nach Europa hält Schallenberg zwar nicht für sinnvoll zur Deeskalation, bei einem Angriff auf die Ukraine sei aber klar, dass die Pipeline nicht in Betrieb gehen werde. Als nächsten Schritt wolle er mit seinen Amtskollegen aus Tschechien und der Slowakei Anfang Februar nach Kiew fahren, um ein europäisches Signal der Unterstützung für die Souveränität der Ukraine zu setzen. Denn: “Es geht auch um unsere eigene Sicherheit”.

NEOS: Österreich muss bei Friedenssicherung aktiv sein

Der Titel der Aktuellen Stunde, die NEOS-Mandatar Helmut Brandstätter namens seiner Fraktion verlangt hatte, war gleichsam ein Appell an Außenminister Schallenberg: “Russland-Ukraine: Ein starkes Österreich muss die EU aktiv unterstützen, den Frieden in Europa zu erhalten.” Brandstätters Erwartungen betreffen allerdings nicht nur Österreichs pazifistisches Engagement auf Diplomatenebene. “North Stream II muss Verhandlungsmasse sein”, machte sich der außenpolitische NEOS-Sprecher dafür stark, dass die Europäische Union das Projekt einstellt, falls russische Truppen die Ukraine überfallen. Genauso müsse Russland aggressive Aktivitäten im Balkan zurückfahren, wodurch friedlicher gemeinsamer Handel möglich werde.

Seit acht Jahren erlebe Europa einen Krieg, wies Brandstätter auf die hohe Opferzahl des ukrainisch-russischen Konflikts mit rund 14.000 Toten hin sowie auf den Abschuss eines niederländischen Passagierflugzeugs über der Ostukraine 2014. Der Aufbau des gemeinsamen Europas nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Bündnis des Wohlstands sei einer der größten Erfolge der Geschichte gewesen, nun wolle Putin einen wirtschaftlichen Aufschwung im Nachbarland verhindern, vermutete der NEOS-Politiker. Der russischen Bevölkerung sollten nämlich nicht die sozioökonomischen Probleme im eigenen Land durch wirtschaftliches Wachstum in der Ukraine noch mehr verdeutlicht werden.

Österreichs außenpolitische Linie nannte Nikolaus Scherak (NEOS) “eingefroren” und kritisierte damit das “Beharren auf der Neutralität”. Mit einem gemeinsamen europäischen Heer hätte die Europäische Union dagegen ein wirkungsvolles Druckmittel, um Aggressoren wie Russland zu begegnen.

ÖVP: Konfliktpartner an Verhandlungstisch bringen

Reinhold Lopatka (ÖVP) dankte Außenminister Schallenberg für dessen klare Positionierung. In den letzten Wochen seien vielfach Verhandlungen zur Krise an der Europäischen Union vorbeigelaufen, mahnte er allerdings ein noch stärkeres Auftreten der EU in diesem Zusammenhang ein. Mehr als 14.000 Menschen seien seit Beginn der Krise gestorben, “jetzt geht es aber darum, einen großen Krieg auf dem Boden der Ukraine zu verhindern”. Das Drängen auf Dialog, wie es Schallenberg bei seinem Besuch in Kiew vorhabe, sei die richtige Antwort auf die russische Drohkulisse. Immerhin biete die Europäische Union Russland nicht das militärische Gegenüber, das Putin auf diese Weise zurückweisen könne. Eine “historische Chance der EU” erkennt auch Lopatkas Fraktionskollegin Carmen Jeitler-Cincelli, den Konflikt auf Vermittlungsbasis zu lösen

SPÖ: Druck erzeugt Gegendruck

Die Ukraine sei Österreich geographisch sehr nahe, bestätigte Jörg Leichtfried (SPÖ) entsprechende Hinweise von Schallenberg und Brandstätter. Österreich sei also unmittelbar von der Gefahr betroffen. “Wir wollen keine Zuspitzung des Konflikts in Richtung einer militärischen Auseinandersetzung”, hielt Leichtfried fest. Ein deeskalierendes Vorgehen der Bundesregierung mit Wien “als Sitzstaat der OSZE” sei deswegen unabdingbar. Die angekündigten Manöver Russlands trügen ebenso wenig zur Entspannung bei wie britische Waffenlieferungen oder die kürzlich in der Ukraine erlassene Verordnung, nur noch Zeitungen in ukrainischer Sprache zuzulassen. “Druck erzeugt Gegendruck”, Frieden und Sicherheit in Europa würden damit nicht erreicht. Schließlich sei der Ukraine weiterhin eine europäische Perspektive zu geben. Petra Bayr (SPÖ) wies darauf hin, wie die EU die östliche Partnerschaft mit Ländern wie der Ukraine finanziell kräftig unterstützt habe, ohne die strategische Position dieser Länder zu beachten.

FPÖ: Sorgen Russlands ernst nehmen

Welche Möglichkeiten die Europäische Union zur Abwendung eines kriegerischen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine habe, hinterfragte Axel Kassegger (FPÖ). Das vollkommene Bekenntnis zum transatlantischen Bündnis der österreichischen Außenpolitik beziehungsweise der EU sieht Kassegger ungeeignet, um geopolitisch ein “eigenes Profil zu entwickeln”. Russland befinde sich derzeit in einer Konsolidierungsphase, nach der das Land wieder zum globalen Player aufsteige, prophezeite der Freiheitliche. Moskaus “weitreichende Vertragsvorschläge” an USA und NATO, um eine gütliche Lösung des Problems herbeizuführen, seien aber versandet. Österreich habe vor diesem Hintergrund die Gelegenheit, als Brückenbauer aufzutreten, wobei auch die Sorgen und Bedenken der Russen angesichts der Ausweitung der NATO ernst zu nehmen seien, wie auch Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) befand. “Wir brauchen beide, wir brauchen Washington und Moskau”, appellierte dieser, “Äquidistanz” zu wahren.

Grüne: North Stream II notfalls kündigen

“Tatsache ist, Europa steht vor einem großen Problem”, sagte Grün-Abgeordneter Michel Reimon. Russland führe seit acht Jahren Krieg im Donbass, habe die Krim völkerrechtswidrig besetzt und zeige ähnliche Tendenzen im Baltikum. Ein Großteil der EU-Mitglieder befänden sich in der NATO, die allerdings derzeit nicht zu den Waffen greifen wolle. Für Österreich als neutralem Staat biete sich daher eine große Chance, so Reimon, sich aktiv für den Frieden in Europa einzusetzen. “Es muss eine Unabhängigkeit der Europäischen Union von Putin geben”, riet er zu wirtschaftlichen Konsequenzen, konkret zur Möglichkeit, die Abhängigkeit von russischem Gas zu lösen. Das würde auch eine Kündigung von North Stream II bedeuten, gerade falls die Lage sich verschärfe. Elisabeth Götze (Grüne) meinte, die EU solle danach trachten, durch den Ausbau erneuerbarer Energien ihre Rohstoffabhängigkeit von Drittstaaten zu mindern. (Fortsetzung Nationalrat) rei

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.

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