TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Mittwoch, 23. Juni 2021, von Tobias Waidhofer: „Historischer Erfolg, der als Auftrag dient“

Innsbruck (OTS) – Mit dem Achtelfinal-Einzug hat Österreichs Fußball-Nationalmannschaft ihr Ziel bei der EM erreicht. Der ÖFB hat aber das Potenzial, über Jahre im Konzert der Großen mitzuspielen, das sollte der Anspruch sein.

Liebe Ösis, willkommen bei den Großen“, titelt die Bild-Zeitung. Erstmals in der 117-jährigen Verbandsgeschichte schaffte eine österreichische Herren-Fußball-Nationalmannschaft bei einer EM den Sprung in eine K.-o.-Phase. Und während ein Achtelfinal-Einzug beim großen Bruder aus Deutschland höchstens Achselzucken auslösen würde, erwächst von Bregenz bis Eisenstadt ein zartes Pflänzchen der Euphorie. Der Österreicher genießt grundsätzlich den Ruf, in seiner Gefühlswelt oft zwischen „himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt“ zu schwanken, Emotionen, die sich mit Blick auf das grüne Rasenviereck, das für so viele Menschen die Welt bedeutet, noch einmal potenzieren. Wenn dieselben Personen, die dem ÖFB-Team nach dem ausbaufähigen Auftakt mit einem Kopfschütteln begegneten, nun von einem Achtelfinale-Triumph über Italien träumen, liegt das in der Natur der Sache.
Realistisch gesehen hat der ÖFB, der auf einen Kader mit einem Marktwert von knapp 320 Millionen Euro zurückgreifen kann, die Papierform als Gruppenzweiter erfüllt. Weil das bei großen Turnieren – siehe das enttäuschende Vorrunden-Aus bei der EM 2016 – leichter gesagt als getan ist, gebührt den Spielern und Verantwortlichen großes Lob. Womit wir bei Teamchef Franco Foda angekommen wären, der, im Gegensatz zum Schweizer Marcel Koller 2016, reagierte, als Dinge nicht funktionierten. Und 23 Siege in 38 Spielen geben ihm ohnehin Recht.
Es gibt aber abseits des Teamchefs oder starken Akteuren wie David Alaba oder Christoph Baumgartner viele stille Väter des Erfolgs. Dabei sind Bundesliga-Vereine bzw. Landesverbände mit ihren Akademien und Ausbildungszentren zu nennen. Dass die Ausbildung in Österreich jemals dieses Niveau erreichte, ist auch auf Willi Ruttensteiner („Der österreichische Weg“) zurückzuführen. Der nunmehrige Trainer der Israelis war es, der eine Zeitenwende in der Nachwuchsarbeit einläutete. 92 Prozent der Spieler im EM-Kader sind als Legionäre engagiert, was eine deutliche Sprache spricht. Dass es seit dem Einstieg von Didi Mateschitz in Salzburg auch mit dem Nationalteam aufwärts geht, stellt ebenfalls keinen Zufall dar. Ein Gros der Nationalspieler trägt die „Bullen-DNA“ in sich.
Nun wartet Italien. Dass der historische Aufstieg in die K.-o.-Phase genau auf jenen Tag fiel, an dem Österreich vor 43 Jahren den legendären 3:2-Sieg über Deutschland in Cordoba gefeiert hatte, ist romantisch, dient aber als Auftrag. Denn der österreichische Fußball hat zu viel Potenzial, um eine Eintagsfliege zu sein. Es wäre fatal, wenn man in knapp 40 Jahren immer noch vom 21. Juni 2021 sprechen würde. Denn das Konzert der Großen klingt zu gut.

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