Leitartikel “Wider die atomare Gefahr” vom 22. Juni 2022 von Floo Weißmann

Innsbruck (OTS) – Nukleare Abschreckung ist wieder im Kommen. Der Atomwaffenverbotsvertrag, an dem Österreich wesentlich mitgewirkt hat, zeigt zumindest eine langfristige Alternative auf.

Von Floo Weißmann
Als die Vereinigten Staaten über der japanischen Stadt Hiroshima eine Atombombe zündeten, kamen bis zu 80.000 Menschen sofort ums Leben. Der Blitz der Explosion brannte ihre Schatten in Wände. Dann zerfetzten Hitze und Druckwelle ihre Körper. Dabei war die Hiroshima-Bombe im Vergleich mit später entwickelten Atomwaffen eine kleine. An dieses Grauen muss auch fast 80 Jahre später immer erinnert werden, wenn es um Atombomben geht.
Bereits im Kalten Krieg hatten sich die Nuklearmächte im Atomwaffensperrvertrag dem Ziel einer vollständigen Abrüstung verpflichtet. Doch die internationale Entwicklung läuft heute in die Gegenrichtung. In den vergangenen Jahren ist das Rüstungskontrollsystem weitgehend kollabiert, begleitet von Prahlereien des irrlichternden US-Präsidenten Donald Trump. Misstrauen hat sich breitgemacht in einer Welt, die komplizierter geworden ist und neue Ansprüche und Konflikte gebiert. Die Atommächte haben begonnen, ihre Arsenale auszubauen oder zu modernisieren. Das geschah zunächst unterhalb des Radars der breiten Öffentlichkeit. Doch spätestens seit Russlands Invasion in der Ukraine erreicht die nukleare Gefahr – die nie wirklich weg war – auch wieder das Angstzentrum vieler Normalbürger.
Kremlchef Wladimir Putin hat allen, die sich russischen Interessen widersetzen, mehr oder weniger offen mit Atomschlägen gedroht. Zugleich reduziert die Gefahr einer nuklearen Eskalation die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen Russland und der NATO kommt. Daraus ziehen nun beide Seiten wieder die Lehre, dass sie ihre atomare Abschreckung ausbauen müssen. In Ost­asien, im Nahen Osten und anderswo könnten Regionalmächte, die über die notwendigen Ressourcen verfügen, ebenfalls auf so etwas wie nukleare Immunisierung setzen.
Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Apokalypse naht. Aber die Welt hat einen gefährlichen Kurs genommen, und es braucht dringend politische Initiativen, die gegensteuern. Der Atomwaffenverbotsvertrag, an dem Österreich wesentlich mitgewirkt hat, ist so eine Initiative. Sie kann auch als Aufstand der vielen kleineren Staaten gegen das sicherheitspolitische Hasardspiel der wenigen Großen verstanden werden.
Der Vertrag wird zwar die aktuelle Rüstungsdynamik kaum beeinflussen. Aber er bietet eine langfristige Alternative. Solange es Atomwaffen gibt, besteht die Möglichkeit, dass es zu einem weiteren Hiroshima kommt. Die Szenarien reichen bis zu einem Atomkrieg, der den Planeten in einen nuklearen Winter taucht. Die einzige logische Antwort darauf ist, Atomwaffen abzuschaffen.

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