TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Vorboten der neuen Weltordnung in Nahost” von Christian Jentsch

Ausgabe vom Dienstag, 14. März 2023

In Peking soll zwischen den beiden Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien ein politisches Tauwetter eingeleitet worden sein. Mit großen Folgen nicht nur für den Nahen Osten. China tritt als Weltmacht in Erscheinung, der Westen ist düpiert.
   Im Schatten des Krieges in der Ukraine ging die Meldung zunächst – zumindest im Westen – fast unter. Um dann für große Verwunderung zu sorgen. Vergangenen Freitag verkündeten die beiden Erzfeinde Iran und Saudi-Arabien nach Verhandlungen in Peking, künftig die Friedenspfeife rauchen zu wollen. Beide rivalisierenden Regionalmächte sprechen plötzlich von Dialog, die seit 2016 gekappten diplomatischen Beziehungen sollen wieder aufgenommen werden. Eine Wiederannäherung zwischen dem erzkonservativen sunnitischen Königreich Saudi-Arabien, in dem der außenpolitische Heißsporn Kronprinz und Premier Mohammed bin Salman das Sagen hat, und dem schiitischen Gottesstaat Iran, der zuletzt vor allem mit der Niederschlagung der Protestbewegung beschäftigt war, käme für die Region tatsächlich einer Art Zeitenwende gleich. In den vergangenen Jahren lieferten sich beide Seiten blutige Stellvertreterkriege, welche den gesamten Nahen Osten in den Abgrund zu stürzen drohten. Vor allem im bettelarmen Jemen fechten Riad und Teheran einen Krieg aus, bei dem fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit bereits Zehntausende Menschen getötet und Millionen in das Elend gebombt wurden. Aber auch im Irak, im Libanon und in Syrien führen beide Regionalmächte Stellvertreterkriege. Die Annäherung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien könnte diesen Konflikten nun die Grundlage entziehen. Doch klar ist: Riad will eine atomare Aufrüstung des Iran unter allen Umständen verhindern. Und trifft sich hier mit den Interessen Israels, das seinerseits versucht, die Hegemonialmacht des Iran einzudämmen und eine iranische Atombombe zu verhindern. Beobachter sprechen davon, dass israelische Militärschläge gegen Atomanlagen im Iran nur noch eine Frage der Zeit sind. Doch Israels neue rechtsreligiöse­ Regierung hat mit ihrer Politik zuletzt viel Porzellan im Verhältnis mit den neuen arabischen Partnern zerschlagen. Nun scheinen die Karten neu gemischt zu werden. 

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