Nur Spektakel? / Ulrich Gerecke zum Weinstein-Prozess

Mainz (ots) – Wer jetzt schon sicher zu wissen glaubt, dass Harvey Weinstein all der sexuellen Übergriffe schuldig ist, für die ihm jetzt der Prozess gemacht wird, der sei an Jörg Kachelmann erinnert. Nichts blieb von den Vergewaltigungsvorwürfen gegen den Schweizer Fernseh-Wetterfrosch übrig. Genauso platzen wird der New Yorker Prozess gegen den Filmmogul vielleicht nicht, aber von einer Illusion muss man sich schon jetzt verabschieden: Die notwendige juristische Aufarbeitung jener Anklagen, die vor zwei Jahren die einzigartige #MeToo-Welle auslösten, wird nichts dazu beitragen, den gesellschaftlichen Diskurs über dieses heikle Thema voranzubringen. Wer vom Weinstein-Prozess – so notwendig er ist – Rechtsfrieden oder gar allumfassende Gerechtigkeit erwartet, der kann nur enttäuscht werden. Das kann nicht funktionieren, wenn sich der Beklagte offensichtlich erfolgreich mit Millionen Dollars von vielen Vorwürfen freikauft. Das kann nicht funktionieren in einem Geschäft namens Hollywood, in dem offensichtlich nicht nur vor der Kamera schon immer mit Sex und Gewalt gespielt wurde. Und das kann nicht funktionieren in einem Land, dessen Präsident Frauen verbal zu Lustobjekten degradiert (“Grab them by the pussy”) und unbehelligt im Amt bleibt. Man kann allenfalls hoffen, dass im Weinstein-Prozess die Fakten nicht völlig auf der Strecke bleiben, dass er nicht zum Spektakel à la O.J. Simpson verkommt. Die Frage, was wir als Gesellschaft aus Weinstein und #MeToo lernen können, wird nicht im New Yorker Gericht beantwortet. Dafür bedarf es eines längeren Atems und vor allem weniger Hysterie.

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