TIROLER TAGESZEITUNG “Leitartikel” Mittwoch, 4. August 2021, von Mario Zenhäusern: “„Grüner Pass“ mit Fragezeichen”

Innsbruck (OTS) – Ab dem 15. August erhalten auch Genesene mit einer Teilimpfung ein EU-konformes Zertifikat. Ob das allerdings bei der Einreise in andere EU-Staaten akzeptiert wird, kann das Sozialministerium nicht garantieren.

Was lange währt, wird endlich … – nein, gut ist die Sache mit dem „Grünen Pass“ noch lange nicht. Insbesondere für jene, die nach einer Covid-Erkrankung genesen sind. Ihnen blieb bisher der digitale Nachweis der Immunität, der Reisefreiheit und vieles mehr garantieren soll, verwehrt. Obwohl Genesene in der Regel mehr Antikörper haben, also vor einer neuerlichen Ansteckung besser geschützt sind als doppelt Geimpfte – zumal dann, wenn sie nach überstandener Krankheit auch noch einmal geimpft sind –, kannten sie die Annehmlichkeiten des „Grünen Passes“ bis dato nur vom Hörensagen. Genesen sind in Österreich fast 640.000 Menschen, davon nicht ganz 64.000 in Tirol. Sie alle haben bis jetzt in einer Art rechtlosem Raum gelebt: Für die offiziell anerkannte Immunität fehlte ihnen die amtliche Bestätigung. Zumindest das soll sich jetzt ändern. Ab dem 15. August gelten auch Personen, die genesen und einmal geimpft sind, als vollimmunisiert. Sie erhalten dann entsprechende Zertifikate und damit auch Zugang zum „Grünen Pass“.
Einmal ganz abgesehen davon, dass sich die Verantwortlichen sehr viel Zeit für diese logische Entscheidung gelassen haben und damit vielen die lang ersehnte Urlaubsreise entweder massiv erschwert oder gar unmöglich gemacht haben, steht die gestern präsentierte österreichische Lösung auf wackeligen Beinen. Die neuen Zertifikate für Genesene mit nur einer Teilimpfung seien zwar EU-konform, hieß es gestern im Sozialministerium, allerdings könne nicht garantiert werden, dass sie bei der Einreise in andere EU-Mitgliedstaaten auch tatsächlich akzeptiert werden. Hinter dem „Grünen Pass“ steht also ein großes Fragezeichen.
Corona hat die Europäische Union weiter auseinanderdividiert, wo ein Zusammenrücken notwendig gewesen wäre. Statt gemeinsam an Lösungen zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen, spielten und spielen die Mitgliedstaaten die nationale Karte. Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Entsprechend verwirrend, ja nahezu undurchschaubar sind die Einreisemodalitäten. Von dieser Unart sind auch Länder betroffen, die sich im Vertrag von Schengen grenzenlose Reisefreiheit zugesichert haben.
Im Falle der angesichts des zuvor Geschilderten nicht unwahrscheinlichen Nichtanerkennung des „Grünen Passes“ bei der Einreise in ein anderes EU-Land könne übrigens „in den meisten Fällen alternativ ein Testzertifikat/Testnachweis vorgezeigt werden“, ließ das Sozialministerium gestern verlauten. Ein schwacher Trost, der angesichts der Dauer des Entscheidungsprozesses mehr wie blanker Hohn klingt.

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