Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 24. Februar 2022. Von PETER NINDLER. “Lieber mit als gegen Söder”.

Innsbruck (OTS) – Wohl aus polittaktischen Erwägungen vollzieht der Ministerpräsident ein Jahr vor der Bayern-Wahl 2023 in der Transit­frage einen Meinungsschwenk. Tirol kann es nur recht sein, wenn Söder als „Mastermind des Transitproblems“ auftritt.

In der Verkehrspolitik wird es zwischen Tiro­l und Bayern stets unterschiedliche Auffassungen geben, schon allein wegen der enormen Wirtschaftskraft unserer Nachbarn. Dazu zählt nun einmal das Transportgewerbe, keinesfalls dazu gehören (nicht nur) aus der Sicht Bayerns verkehrsbeschränkende Maßnahmen wie die Lkw-Fahrverbote in Tirol. Im Gegenteil: Freie Fahrt für die Wirtschaft definiert seit jeher die weiß-blaue DNA.
Gleichzeitig endet die Brennerachse nicht in Kufstein oder in Gries am Brenner, vielmehr befindet sich Tirol mit dem Inn- und Wipptal in einer besonders prekären verkehrsgeographischen „Sandwich-Position“. Die Transitbelastung trifft allerdings genauso Bayern und Südtirol, noch dazu nehmen rund 880.000 der 2,5 Millionen Transit-Lkw den Umweg über den Brenner in Kauf, weil die längere Route trotzdem günstiger ist. Die Anrainer entlang der Transitrouten im bayerischen Inntal und in Südtirol missbilligen das schon längst. Selbst Bayerns „Mia san mia“-Ministerpräsident Markus Söder kann das nicht länger überhören. Südtirol, das Bundesland Tirol und Bayer­n eint darüber hinaus, dass in allen drei Ländern 2023 gewählt wird und die Volksparteien dort massiv unter Druck stehen. Die Christlich-Soziale Union (CSU) kommt derzeit in Umfragen lediglich auf 35 Prozent, Söder hat wohl mit Blick auf die schlechten Umfragewerte gestern seine Regierung umgebildet. Verkehrsministerin Kerstin Schreyer musste ebenfalls gehen. Gleichzeitig hängt er am „belastenden Umwegverkehr“ seinen Mautschwenk auf. Als ob es den Ausweichtransit erst seit heute gäbe. Ein Schuss Populismus ist mithin bei Söder immer dabei. Doch Tirol kann es nur recht sein, wenn der bayerische Ministerpräsident plötzlich als Mastermind des Transitproblems auftritt.
Für die Korridormaut auf der Brennerachse benötigt Tirol seine Unterstützung, denn bisher war die Achse zwischen Bayern, der Süd­tiroler Wirtschaft, Rom und Brüssel zu stark. Söders Wort hat Gewicht, außerdem benötigt er bei der Landtagswahl jede Stimme – vor allem aus dem umweltbewussten christlich-sozialen Lager –, um in der CSU, in Bayern und in Berlin weiterhin unangefochten zu sein. Dieses Zeitfenster muss Tirol nützen, darin liegt die Chance des heutigen (Transit-)Treffens zwischen Landeshauptmann Günther Platter, Markus Söder und Bundeskanzler Karl Nehammer (VP).
Auf der pragmatischen Ebene kann es nur ein Ziel geben: höhere Lkw-Mauten auf der gesamten Brennerachse, um den Transit einzudämmen. Söder ist schluss­endlich der Schlüssel für erfolgsorientierte Gespräche mit Berlin, Rom und Brüssel. Und genau darum geht es.

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