TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Unfassbare Tragödie”, von Marco Witting, Ausgabe vom Sonntag, 31. Juli 2022

Die Lücke bleibt bei jenen, die die Frau geliebt und gekannt haben. Der Hass kam vom feigen Mob im Netz, der sie nicht gekannt hat.

Innsbruck (OTS) – Der Tod der Ärztin aus Oberösterreich muss dringend aufgearbeitet werden. Auch die Zivilgesellschaft ist gefordert.

Am Ende steht die Trauer. Leere. Fassungslosigkeit und eine unendlich große Lück­e, die plötzlich da ist, bei jenen, die die oberöster­reichische Ärztin geliebt und gekannt haben. Davor kam der Hass. Weil die Medizinerin ihren ärztlichen Standpunkt vertreten hat, war sie monatelang aus der Impfgegner-Szene angefeindet, bedroht und beleidigt worden. Von Menschen, die sie nicht gekannt haben. Von feigen Internet­helden, die sich hinter ihrem Profil verstecken und im Netz Anstand, Respekt und Verstand über Bord werfen. Der Tod der Frau, die mutmaßlich Suizid beging, ist eine unfassbare Tragödie. Hass im Netz ist mittlerweile trauriger Alltag. Und es zeigt sich, dass der Ton im Umgang miteinander während der Pandemie noch einmal grausamer wurde . Der hasserfüllte Mob mag nicht die Mehrheit in den „gar nicht sozialen Netzwerken“ sein. Er wird aber immer lauter und lauter, aggressiver und skrupelloser. Gerade deshalb sollte der Fall der Medizinerin jetzt aufrütteln und in weiterer Folge aufgearbeitet werden. Auch hinsichtlich der Rolle der Polizei, von der sich die Medizinerin nicht ernst genommen gefühlt hat. Neben Beileidsbekundungen könnte auch die Politik ihren Teil tun. Und endlich zeitgemäße Maßnahmen ergreifen, die das Internet nicht länger als vermeintlich rechtsfreien Raum erscheinen lassen.
Der Hass im Netz, die Wut, die Aggression, das Mobbing und die Respektlosigkeit anderen gegenüber sind komplexe Probleme, für die es keine einfachen Lösungen geben wird. Es wird nicht genügen, nur mit dem digitalen Finger auf Gesetzgeber, Internetkonzerne oder die anderen zu zeigen. Es liegt schon auch an uns allen, mit Zivilcourage, Akzeptanz, Menschlichkeit und Toleranz für einen virtuellen Raum zu sorgen, in dem niemand Angst haben muss.

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