Rechnungshof: Mängel bei heimischer Landesverteidigung jahrelang kumuliert

RH-Präsidentin Kraker weist auf massive Investitionsrückstände hin – Verteidigungsministerin Tanner lobt ausgeweitetes Heeresbudget

Der österreichischen Landesverteidigung widmete heute der Rechnungshofausschuss des Nationalrats seine gesamte Sitzung, bei der mehrere Prüfberichte zu militärischen Angelegenheiten diskutiert wurden. Eingangs stand neben der Beschaffungsplanung des Bundesheeres auch die Einsatzbereitschaft der Miliz zur Debatte. Diese beiden Berichte wurden vom Ausschuss einstimmig zur Kenntnis genommen. Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker meinte generell, mit ihren Prüfungen versuche ihr Haus, die negativen Auswirkungen fehlender Investitionen auf die Fähigkeiten des Heeres zu verdeutlichen. Bereits begonnene Reformen seitens des Verteidigungsministeriums in diesem Zusammenhang begrüße sie, wenn auch “alle gefordert” seien, die Einsatzfähigkeit  besonders personell zu steigern. Sie bezog sich dabei auf sozialrechtliche Aspekte, die zur Attraktivierung der Miliz nötig sind.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner lobte im Rechnungshofausschuss die parteiübergreifende Unterstützung für die Stärkung des Bundesheeres, die sie im einhelligen Eintreten für eine neue Sicherheitsstrategie erkennt. Dank der Aufstockung des Heeresbudgets bis 2026 werde man jahrzehntelange Investitionsrückstände nun aufholen können. Die angestrebte neue Sicherheitsstrategie, bei der laut Tanner die militärische Landesverteidigung wieder ins Zentrum rückt, sollte “mit breiter parlamentarischer Mehrheit erreicht werden”. Dem Parlament will sie bis Jahresende entsprechende Dokumente liefern. Die vom Rechnungshof und mehreren Ausschussmitgliedern aufgezeigten Mängel bestätigte die Ministerin, sie gab allerdings auch zu bedenken, lange aufgestaute Versäumnisse könnten nicht über Nacht behoben werden.

BESCHAFFUNGSPLANUNG: UNKLARHEITEN BEI INVESTITIONEN

In seinem 2022 veröffentlichten Bericht (III-783 d.B.) über die Beschaffungsplanung des Bundesheeres, die ein Teil der 2013 durch eine Entschließung des Nationalrats angestrengte Neugestaltung der heimischen Sicherheitsstrategie ist, vermisst der Rechnungshof konkrete Zahlen zu den Auswirkungen der Heeresbeschaffungen. Sein Hauptkritikpunkt ist, im überprüften Zeitraum 2013 bis 2020 sei kein aktueller und vollständiger Überblick über den notwendigen Investitionsbedarf gegeben gewesen. Aus Sicht des Rechnungshofs kann jedoch nur ein mit konkreten Zahlen unterlegtes Bedarfsprogramm die Grundlage für eine Investitionsplanung und die Sicherstellung langfristiger Finanzierungen sein. Bei Ausrüstung und Infrastruktur habe sich etwa eine Investitionslücke von 1,3 Mrd. € ergeben, zeigte RH-Präsidentin Kraker im Ausschuss auf. Neben einer konkreten Berechnung des Investitionsbedarfs, empfiehlt der Rechnungshof dem Verteidigungsministerium dringend, ein Monitoring zur systematischen Überprüfung geplanter beziehungsweise umgesetzter Beschaffungen einzuführen.

Als Beispiel der “extremen Mangelwirtschaft”, unter der das Bundesheer in den vergangenen Jahren gelitten habe, nannte Volker Reifenberger (FPÖ) die vom Rechnungshof 2016/2017 ausgemachten “verfallenen” Budgetposten aus sogenannten Sonderpaketen. Seine Vermutung, es habe vom Ministerium Weisungen zur Aussetzung dieser Investitionen gegeben, verneinte Verteidigungsministerin Tanner zwar, sie räumte aber ein, dass in der Vergangenheit oft wegen “kurzfristig” geänderter Budgets anstehende Investitionen zurückgenommen worden sind. Nunmehr biete das Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz eine Planungssicherheit über zehn Jahre, betonte Tanner mit Verweis auf den von Hermann Gahr (ÖVP) adressierten aktuellen Aufbauplan für das Bundesheer. Demzufolge werde man bei Beschaffungen nur noch dort, wo unbedingt nötig, eigene “österreichische Lösungen” wählen. Übergeordnetes Ziel sei künftig, bei der Ausstattung des Heeres auf den letzten Stand der Technik zu setzen und durch gemeinsame Beschaffungen mit befreundeten Staaten, die Interoperabilität der Systeme sicherzustellen. Eine jüngst eingerichtete Prüfkommission sorge für einen transparenten Umgang mit dem für Beschaffungen herangezogenen Steuergeld, so Tanner in Richtung Karin Greiner (SPÖ), die “punktgenaue Investitionen” einmahnte, bevor der zuständige Generalmajor dem Ausschuss den Beschaffungsvorgang anhand der C-130 “Hercules”-Transportflugzeuge schilderte.

Helmut Brandstätter (NEOS) kritisierte grundsätzlich, die österreichische Landesverteidigung sei lange säumig bei Aufbauplänen gewesen, obwohl sich Änderungen der internationalen Gefahrenlage schon vor dem Start des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine abgezeichnet hätten. Zur von Brandstätter angesprochenen europäischen Sky-Shield-Initiative sagte Tanner, Österreich zeige Interesse an der Teilnahme, wiewohl die souveräne Luftraumüberwachung beibehalten werde. Die verschlechterte Sicherheitslage in Europa habe maßgeblich zum Umdenken in der heimischen Verteidigungspolitik beigetragen, sagte auch David Stögmüller (Grüne), der jedoch weiterhin ein großes Problem bei der Verteilung der Personalkosten im Heer ausmacht. Ihm zufolge fallen 66 % der Heeresbudgets für Personalaufwendungen an, doch sei die Entlohnung der “unteren Chargen” weiterhin zu gering. Hier widersprach Ministerin Tanner mit Hinweis auf Lohnerhöhungen auch bei Grundwehrdienern und unteren Rängen, die ihr Haus umgesetzt habe, soweit dies das Bezügegesetz ermögliche. Mit Maßnahmen wie dem freiwilligen Grundwehrdienst für Frauen und flexibleren Arbeitszeiten, wolle das Bundesheer einen höheren Stellenwert als Arbeitgeber in der Gesellschaft erlangen.

MILIZ LEIDET UNTER PERSONALMANGEL

Höchst besorgt äußert sich der Rechnungshof in seiner Prüfung (III-819 d.B.) zum Zustand der heimischen Miliz, die laut Bericht 2021 immerhin 64 % der Gesamtstärke des Bundesheeres ausmachte. Verteidigungsministerin Tanner bestätigte in diesem Zusammenhang Andreas Kollross (SPÖ), die Miliz sei “in schlechter Verfassung”. Dabei sei sie “integraler” Bestandteil des Bundesheeres, betonte Tanner, und keineswegs eine reine “Reservekompanie”. Das Projekt zur Optimierung der Rahmenbedingungen des Milizdienstes, das Hans Stefan Hintner (ÖVP) aufgeworfen hatte, wird laut Tanner bis Ende 2023 finalisiert. Der milizbeauftragte Generalmajor berichtete dem Ausschuss im Detail über dabei angestoßene Maßnahmen zur Aufstockung von (un)befristet beorderten Milizsoldat:innen, die zu regelmäßigen Übungen verpflichtet werden. Viel Gewicht lege man auf Partnerschaften mit der Wirtschaft, um die Vorteile von Arbeitskräften, die der Miliz angehören, herauszustreichen. Brandstätter (NEOS) hatte fehlendes Verständnis bei Unternehmen als mitverantwortlich für die schlechte personelle Ausstattung der Miliz apostrophiert. Brennendes Thema in diesem Zusammenhang sind dem Generalmajor zufolge die weiterhin bestehenden sozialrechtlichen Nachteile. Ministerin Tanner antwortete Stögmüller (Grüne) auf entsprechende Nachfrage, ihr Ressort habe diesbezügliche Vorkehrungen getroffen, am Zug seien jetzt das Ministerium für den Öffentlichen Dienst und die Sozialversicherungen.

Als zentrale Problemfelder in den überprüften Jahren 2017 bis 2020 nennt der Rechnungshof eben dieses fehlende Milizpersonal, unzureichende Materialausstattung und Verbesserungsbedarf bei den Grundfertigkeiten der Milizsoldatinnen und Milizsoldaten. Zwar sei es dem Verteidigungsministerium im Prüfzeitraum gelungen, die Zahl an erforderlichen Milizsoldat:innen von 79 % auf 89,3 % zu erhöhen, räumen die Prüfer:innen ein. Doch hat es laut Bericht immer noch beträchtliche Abweichungen des Ist-Standes vom Soll-Stand gegeben, legte RH-Präsidentin Kraker im Ausschuss dar, sichtbar am Anteil an Miliz-Offizieren und Miliz-Unteroffizieren (2021: 32,8 % beziehungsweise 35,3 %). Negativ für die Einsatzbereitschaft der Miliz sei auch der Umstand, dass im Jahr 2021 nur rund 54 % des Milizpersonals übungspflichtig war, so der Rechnungshof. Zudem seien aus dem Verteidigungsbudget zwischen 2018 und 2020 durchschnittlich nur 6 % der Miliz zugutegekommen, wie Reifenberger (FPÖ) anhand des Prüfberichts monierte. Möglichen Veränderungen bei der Sicherheitslage sei nicht Rechnung getragen worden, die für eine Mobilmachung erforderlichen 55.000 Mann seien “nicht ansatzweise erreicht”, befand der Freiheitliche. Der Rechnungshof drängt daher auf eine Aktualisierung des prozentuellen Anteils der Miliz an den Ausgaben des Ministeriums sowie auf einen höheren Übungsrhythmus der Milizsoldat:innen. Zudem wären verstärkt Initiativen zu setzen, um arbeits- und sozialrechtliche Benachteiligungen für Angehörige der Milizeinheiten zu beseitigen. (Fortsetzung Rechnungshofausschuss) rei

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