Nationalrat: Länder können über Art und Umfang von Leerstandsabgaben künftig selbst entscheiden

ÖVP, SPÖ und Grüne beschließen Verfassungsnovelle

Mit dem Ziel, Leerstände zu reduzieren, heben einige Bundesländer bereits jetzt eine Abgabe auf leerstehende Wohnungen ein. Allerdings sind den Ländern aufgrund eines VfGH-Urteils aus dem Jahr 1985, was die Höhe der Abgabe betrifft, die Hände gebunden. Nun soll eine verfassungsrechtliche Kompetenzänderung den Ländern mehr Spielraum einräumen. Der Nationalrat stimmte zum Auftakt seiner heutigen Sitzung mit der nötigen Zweidrittelmehrheit für eine entsprechende Verfassungsnovelle. Auch eine ergänzende Änderung des Finanzausgleichsgesetzes wurde mit der gleichen Mehrheit von ÖVP, SPÖ und Grünen gebilligt. Kritik kommt von FPÖ und NEOS: Sie werten Leerstandsabgaben als Vermögensteuer und fordern alternative Maßnahmen, um mehr Wohnraum zu schaffen.

Ein von NEOS-Abgeordnetem Johannes Margreiter eingebrachter Entschließungsantrag betreffend Wiedereinführung der Zweckbindung der Wohnbauförderung fand bei der Abstimmung allerdings keine Mehrheit Gleiches gilt für einen Entschließungsantrag der SPÖ. Dieser zielte nicht nur auf ein Einfrieren aller Mieten bis Ende 2026, sondern auch auf die Einführung eines Zinsdeckels für variabel verzinste Wohnkredite sowie die Einführung einer Vermögens- und Erbschaftssteuer ab.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler hob hervor, dass die vorgesehene kompetenzrechtliche Klarstellung nichts daran ändere, dass es für Leerstandsabgaben eine verfassungskonforme Lösung brauche. Die Schranke sei das Sachlichkeitsgebot, Leerstandsabgaben müssten gerechtfertigt sein.

MASSIVE KRITIK VON FPÖ UND NEOS AN LEERSTANDSABGABE

Konkret wird mit der von ÖVP, SPÖ und Grünen verabschiedeten Verfassungsnovelle “die Erhebung öffentlicher Abgaben zum Zweck der Vermeidung der Nicht- oder Mindernutzung” von Wohnungen in die Zuständigkeit der Länder übertragen. Dabei geht es auch um Zweitwohnsitze. Außerdem stellt eine ergänzende Novellierung des Finanzausgleichsgesetzes sicher, dass die Länder auch dann Leerstandsabgaben einheben dürfen, wenn der Bund ähnliche Steuern beschließt.

Massive Kritik an der Verfassungsnovelle kam sowohl von der FPÖ als auch von den NEOS. Diese leiste keinen Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot, machten etwa die FPÖ-Abgeordneten Susanne Fürst und Philipp Schrangl geltend. Zudem werde mit einer Leerstandsabgabe in das Grundrecht auf Eigentum eingegriffen, kritisierte Fürst. Dem Staat gehe nichts an, was die Menschen mit ihrem Wohnungseigentum machen, sagte sie. Für Fürst und Schrangl ist eine Leerstandsabgabe überdies nichts anderes als eine Vermögensteuer, außerdem erwarten sie Rechtsunsicherheit durch verschiedene Regelungen in den Ländern.

Die FPÖ bekenne sich zu leistbarem Wohnen und zu sozial verträglichen Mieten auch außerhalb der Gemeinnützigkeit, sagte Schrangl. Es gelte aber, die berechtigten Interessen sowohl von Mieter:innen als auch von Vermieter:innen zu berücksichtigen. Ein Griff “in die wohnungspolitische Mottenkiste” sei keine Lösung. Dass Wohnen immer teurer werde, liegt laut Fürst unter anderem daran, dass die Baukosten in den letzten Jahren “in die Höhe geschossen sind”, es immer schwieriger werde, Kredite zu bekommen und es zu wenig Investitionen in den sozialen Wohnbau gebe.

NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak zeigte sich insbesondere darüber irritiert, dass die ÖVP “als ehemalige Wirtschaftspartei” die Einführung neuer Steuern und Abgaben unterstütze, zumal die Steuer- und Abgabenquote in Österreich ohnehin bereits eine “Rekordhöhe” erreicht habe. Mit der Verfassungsnovelle würde das “Kompetenzwirrwarr” im Wohnungswesen zudem weiter verschlimmert, befürchtet er. Künftig dürften die Länder Leerstandsabgaben in beliebiger Höhe einführen. Auch bleibe unklar, was unter eine Mindernutzung einer Wohnung falle. So fragt sich Scherak etwa, ob auch jemand, der eine viel zu große Wohnung habe oder jemand, der einen Wohnsitz nur einige Monate im Jahr nutze, eine Abgabe zahlen werde müssen. Um mehr Wohnungen auf den Markt zu bringen, wäre ihm zufolge eine Reform des Mietrechts ein sinnvollerer Weg. Der Abgeordnete warf ÖVP und Grünen überdies vor, die im Begutachtungsverfahren eingelangten Stellungnahmen “weitestgehend ignoriert” zu haben.

Scheraks Fraktionskollege Johannes Margreiter hat ohnehin Zweifel daran, dass hohe Leerstands- oder Zweitwohnsitzabgaben vor dem VfGH Bestand haben werden. Schließlich gebe es keine allgemeine Vermietungspflicht, argumentierte er. Dass “zu wenig” Sozialwohnungen vorhanden seien, ist für ihn “ein Politversagen” und kein Versagen privater Wohnungseigentümer:innen. Um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, plädierten die NEOS für die Wiedereinführung der Zweckbindung der Wohnbauförderung, konnten sich mit einem entsprechenden Entschließungsantrag aber nicht durchsetzen. Er erhielt bei der Abstimmung lediglich die Unterstützung der Opposition.

SPÖ FORDERT MIETEN- UND ZINSDECKEL

Seitens der SPÖ bekannten sich unter anderem Julia Elisabeth Herr, Jörg Leichtfried und Selma Yildirim zur Einhebung von Leerstandsabgaben. Wenn man sich die Situation in manchen Städten anschaue, sei eine solche Abgabe sinnvoll, betonte Herr. Wohnungen seien schließlich zum Wohnen da “und nicht zum Spekulieren”. Leichtfried rechnet damit, dass durch eine Leerstandsabgabe mehr Wohnungen auf den Markt kommen werden, und hofft, dass das auch die Mieten senken werde. Zudem könnten durch diese “grundvernünftige Maßnahme” Ortskerne belebt werden.

Allgemein warf die SPÖ den Regierungsparteien vor, zu wenig für leistbaren Wohnraum zu tun. Die Mieten seien in den letzten beiden Jahren um bis zu 25 % gestiegen und inzwischen “Inflationstreiber Nummer eins” geworden, machten Herr und ihre Parteikollegin Ruth Becher geltend. Sie forderten in diesem Sinn einen “echten” Mietpreisdeckel.

Konkret schlug die SPÖ in einem Entschließungsantrag vor, alle Mieten – inklusive frei vereinbarter Mieten und Geschäftsraummieten – bis Ende 2026 einzufrieren und den jährlichen Mietanstieg danach mit maximal 2 % pro Jahr zu deckeln. Zudem drängte sie auf einen “Zinspreisdeckel” von 3 % für variable Wohnkredite bis zu einer Kreditsumme von 300.000 €. Diese Maßnahme würde Herr zufolge rund 900 Mio. € bis zu 1 Mrd. € kosten, die “locker” durch eine Abschöpfung von Übergewinnen der Banken hereingebracht werden könnten. Schließlich würden sich die Banken an den derzeit hohen Zinsen “bereichern”, wie deren “Rekordgewinne” in den letzten beiden Jahren gezeigt hätten. Weitere Punkte des Entschließungsantrags betrafen die Einführung einer Mindestverzinsung von derzeit 3 % für alle Bankkund:innen bis zu einem bestimmten Einlagenbetrag, die Einführung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer für Erbschaften ab 1 Mio. € und die Einführung einer “Millionärsabgabe”. Dieser erhielt über die SPÖ hinaus allerdings keine Zustimmung.

ÖVP: BUND FÜHRT KEINE NEUEN STEUERN EIN

Die ÖVP-Abgeordneten Johann Singer und Gabriel Obernosterer wiesen den Vorwurf der Einführung einer neuen Steuer zurück. Schon jetzt gebe es in vier Bundesländern eine Leerstandsabgabe, machte Singer geltend. Mit der vorliegenden Verfassungsnovelle werde den Ländern lediglich mehr Handlungsspielraum eingeräumt. Die Kompetenzverschiebung macht ihm zufolge Sinn, weil unterschiedliche Regionen unterschiedliche Bedürfnisse hätten und es unterschiedliche Leerstände gebe. Im Übrigen dürfe auch künftig nicht in das Grundrecht auf Eigentum eingegriffen werden.

Laut Obernosterer ist die vorgesehene “kompetenzrechtliche Klarstellung” ein Wunsch aller neun Landeshauptleute gewesen. Er wies zudem darauf hin, dass das erste Bundesland, das eine Zweitwohnsitzabgabe eingeführt habe, Kärnten unter einem freiheitlichen Landeshauptmann gewesen sei. Hans Stefan Hintner (ÖVP) hob hervor, dass Gemeinden für Personen mit Zweitwohnsitz keine Ertragsanteile über den Finanzausgleich bekämen und diese somit auch keinen Kostenbeitrag zur Infrastruktur leisten würden.

Singer wies darüber hinaus darauf hin, dass die vorliegende Verfassungsnovelle Teil eines großen Bau- und Wohnpakets sei. Damit wolle man nicht nur mehr leistbaren Wohnraum schaffen, sondern auch die Baukonjunktur ankurbeln und Arbeitsplätze sichern. So erwartet er sich, dass die vorgesehene zusätzliche Förderung des gemeinnützigen Wohnbaus in der Höhe von 1 Mrd. €  Investitionen in der Höhe von 5 Mrd. € auslösen wird. Auch auf den vorübergehenden Verzicht auf die Grundbucheintragungsgebühr und den Handwerkerbonus verwies Singer.

GRÜNE WOLLEN LEERSTAND “AN DEN KRAGEN”

“Wir wollen dem Leerstand an den Kragen”, begründete Grün-Abgeordnete Nina Tomaselli die Verfassungsnovelle. Wohnungen seien schließlich zum Wohnen da, meinte sie und machte auf das Problem von “verödeten” Innenstädten oder verwaisten Wintersportorten aufmerksam. Viele Wohnungen würden aufgrund von Spekulation oder aus reiner Bequemlichkeit nicht vermietet, glaubt sie. Leidtragende seien “zehntausende Wohnungssuchende”, diesen zeige die FPÖ “knallhart die Schulter”.

Tomasellis Parteikolleginnen Astrid Rössler, Ulrike Maria Böker und Ulrike Fischer sehen Leerstandsabgaben außerdem als wichtiges Instrument zur Eindämmung des Bodenverbrauchs und zur Belebung von Ortskernen. Damit leiste eine “Leerstandsaktivierung” auch einen Beitrag zum Klimaschutz, erklärte Böker, zumal eine Belebung von Ortskernen auch weniger Verkehr zur Folge habe, da man mehr Wege zu Fuß erledigen könne. Rössler wies in diesem Zusammenhang auch auf den hohen Leerstand im Gewerbe- und Industriebereich hin, wobei ihr zufolge die doppelte Fläche von Salzburg leer steht.

EDTSTADLER: LEERSTANDSABGABEN MÜSSEN GERECHTFERTIGT SEIN.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler gab zu bedenken, dass leistbares Wohnen ein großes Thema sei und warf der FPÖ vor, die Augen vor bestehenden Problemen zu verschließen. Die vorgesehene kompetenzrechtliche Klarstellung ändert ihr zufolge außerdem nichts daran, dass die Länder für etwaige Leerstandsabgaben eine verfassungskonforme Lösung vorlegen müssten. Selbstverständlich sei eine Leerstandsabgabe Eingriff in das Eigentum, sagte Edtstadler, die Schranke sei das Sachlichkeitsgebot. Leerstandsabgaben müssten gerechtfertigt sein. (Fortsetzung Nationalrat) gs

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