TIROLER TAGESZEITUNG: Leitartikel vom 10. April 2018 von Christian Jentsch – Mit Angst und Polemik zum Wahlerfolg

Innsbruck (OTS) – Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der sich als Retter seines Landes gegen dunkle Verschwörer präsentierte, triumphierte bei der Parlamentswahl. Doch seine auf Polemik fußende Politik gleicht einem Hasardspiel.

Man nehme eine ordentliche Portion Angst vermischt mit einer abstrusen Verschwörungstheorie, einem dramatisch vorgetragenen Heldenepos und einer Regierungspropaganda, die nur noch wenig Platz für Andersdenkende lässt. Ungarns rechtsnationalistischer Regierungschef Viktor Orbán ist ein Meister der Inszenierung, der vor wenig zurückschreckt. Er präsentierte sich im Wahlkampf als Retter Ungarns und des gesamten christlichen Abendlandes. Und er hatte Erfolg und holte sich mit seiner Fidesz-Partei die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Am Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 war er der Erste, der sich der vermeintlichen „Willkommenskultur“ von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel entgegenstellte und die Angst vor Überfremdung in Europa für sich zu nutzen wusste. Doch damit nicht genug, gefiel er sich in der Erzählung einer abstrusen Verschwörungstheorie, in welcher der ungarischstämmige US-Milliardär George Soros zum Staatsfeind erklärt wurde. Der 87-jährige Holocaust-Überlebende, der als Finanzspekulant reich wurde und heute mit seinen Zivilorganisationen weltweit Demokratie und Menschenrechte fördert, sei der Kopf einer Verschwörung, die Millionen Muslime nach Europa lockt und dafür auch die EU einspannt. Und nur ein Orbán könnte sich diesen dunklen Machenschaften entgegenstellen und „Ungarn verteidigen“. Apropos EU:
Brüssel wird künftig wohl mit noch mehr Gegenwind aus Budapest rechnen müssen. So ignorierte Orbán die von der EU beschlossenen Quoten zur fairen Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas, auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs konnte ihn nicht umstimmen. Und auch in Sachen Medienfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz sowie beim Versuch, ausländische Nichtregierungsorganisationen an die Kette zu legen, ist Konflikt vorprogrammiert.
Es ist schon verwunderlich, dass man innerhalb der EU von der Vision einer „illiberalen Demokratie“ sprechen kann. Wo bleibt da das vielbeschworene Europa der Demokratie und der Werte? Und das in Zeiten, wo vor den Toren Europas die Demokratie fast überall zu Grabe getragen wird. Doch muss die EU hilflos zusehen, wie ihr Fundament in Frage gestellt wird? Nein, ganz im Gegenteil. Denn ohne den reichen Geldsegen von Seiten der EU bei den Strukturgeldern wäre Ungarns Erfolgsgeschichte bald Geschichte. Und ohne den Handelspartner Deutschland hätte Ungarn wenig zu lachen. Orbáns Polemik ist ein gefährliches Spiel, das zum Bumerang werden kann.

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