Europäisches Lieferkettengesetz soll Opferschutz ins Zentrum stellen

Hochkarätige Veranstaltung im Haus der EU in Wien am 4. November widmet sich der Frage, wie ein Lieferkettengesetz Menschen und Umwelt wirksam schützen kann.

Gäste aus Brasilien fordern angesichts des Dammdesasters von Brumadinho, dass für Geschädigte die Hürden im Zugang zum Rechtssystem abgebaut werden. Ein Lieferkettengesetz muss präventiv wirken und auch Interessensgruppen wie Organisationen der Anwohner*innen, Nichtregierungsorganisationen und Arbeitnehmer*innenvertretungen verpflichtend einbinden. 

SCHLAMMLAWINEN-UNGLÜCK IN BRASILIEN

Carolina de Moura Campo vom brasilianischen Instituto Cordilheira schilderte sehr eindringlich und konkret, was Bergbau in ihrer Heimatregion bedeutet. Eisenerzvorkommen überlappen sich mit den oberirdischen und unterirdischen Wasservorkommen. Nahezu alle Wasserläufe sind flächendeckend mit Bergbaukonzessionen überzogen. „Der Konflikt zwischen Wasser und Bergbau ist unversöhnbar. Die Entscheidung ist: Eisenerz oder Wasser“, so die Aktivistin. 

Besonders dramatisch sind die Auswirkungen des Bruchs eines Bergwerk-Staudamms von Brumadinho im Jahr 2019. „Bereits mehr als ein Jahrzehnt vor der Tragödie haben wir kontinuierlich versucht, mit dem Bergbaukonzern Vale in Kontakt zu treten und auf Umwelt- und Sicherheitsrisiken hinzuweisen. Hätte man uns nur ein wenig zugehört, hätte der Tod von 272 Menschen mit relativ geringem Aufwand verhindert werden können“, so De Moura, die selbst in Brumadinho lebt. Die verbindliche Einbindung von Interessensgruppen im vorliegenden Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz nachzubessern, war im Zuge der Veranstaltung ein mehrfach vorgebrachtes Anliegen.  

Zu Gast war auch Menschenrechtsantwalt Danilo Chammas, der Angehörige von Opfern des Brumadinho-Desasters in Gerichtsverfahren in Brasilien und Deutschland begleitet und vertritt. Der Jurist nannte als zentrales Anliegen, dass für Geschädigte bestehende Hürden im Zugang zum Rechtssystem abgebaut werden müssten. Ein wichtiger Punkt hierbei ist die gerechtere Verteilung der Beweislast: „Sie können sich vorstellen, wie schwierig es für einfache Kleinbauernfamilien oder Fischer*innen am Paraopeba-Fluss ist, Beweise zu Fehlentscheidungen und Versäumnissen in den Konzernzentralen in Rio de Janeiro oder München zu erbringen“, so der Anwalt. Chammas ist Teil des Anwaltsteams, welches die deutsche TÜV Süd im Namen der Betroffenen verklagt hat, da das Zertifizierungsunternehmen trotz bekannter Probleme die Stabilität des Dammes bescheinigt hat. „Als weiteres Problem kommt das extreme Machtungleichgewicht hinzu, das wir zwischen großen Firmen und den Betroffenen vorfinden. Unternehmen wie Vale haben sehr starken Einfluss auf Politik und Staatlichkeit in unserem Bundesstaat“, sagte Chammas. 

PODIUM ZEIGT SICH VON KATASTROPHE BEWEGT UND SIEHT LÖSUNGEN IM LIEFERKETTENGESETZ 

Karin Lukas vom BOLTZMANN INSTITUT FÜR GRUND- UND MENSCHENRECHTE berichtete über ihre Analyse von freiwilligen Initiativen, die menschenrechtliche Probleme in Eisenerzlieferketten beheben sollen. Diese seien sehr unterschiedlich in Bezug auf ihre Reichweite und ob sie unabhängige Überprüfungen durch Dritte vorsehen. Die wesentliche Lücke, die durch ein Lieferkettengesetz geschlossen werden kann, beschrieb die Menschenrechtsexpertin folgendermaßen: „Statt mehreren freiwilligen Initiativen, an die sich manche halten, haben wir einen einheitlichen Standard, an den sich relativ viele halten müssen.“ Nur sehr großen Unternehmen – in Österreich wären es ca. 0,06% der Firmen – würden laut Entwurf der EU-Kommission Sorgfaltspflichten auferlegt. Aber weitere, auch kleinere Unternehmen würden als Teil der Lieferkette großer Firmen indirekt erfasst. Als weiteren Fortschritt macht Lukas die erhöhte Rechtssicherheit und Einheitlichkeit aus.  

Andrea Reitinger, von EZA FAIRER HANDEL, der größten und traditionsreichen Importorganisation im Bereich fairer Handel in Österreich, unterstreicht die Notwendigkeit eines generellen Umdenkens: „Die Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten entlang von Lieferketten muss für alle Unternehmen den gleichen Stellenwert bekommen wie die Erreichung ihrer wirtschaftlichen Ziele. Nur so können wir gemeinsam eine zukunftsfähige Wirtschaft entwickeln.“ Auf die Rückfrage zur oftmals geäußerten Sorge von Unternehmen und deren Verbänden, dass die Umsetzung des Lieferkettengesetzes aufwändig und fordernd sein wird, meinte Reitinger: „Es sagt keiner, dass es einfach ist. Das ist aber kein Grund, es nicht zu tun.“  

Sigrid Kickingereder, BUNDESGESCHÄFTSFÜHRERIN DER KATHOLISCHEN JUNGSCHAR UND DER DREIKÖNIGSAKTION brachte den Anspruch an ein europäisches Lieferkettengesetz zusammenfassend auf den Punkt: „Es muss betroffenen Kindern in Brumadinho nützen, es muss derartige Tragödien in Zukunft verhindern helfen, und es müssen Firmen und Entscheidungsträger*innen zur Verantwortung gezogen werden, die menschliches Leid, ja sogar Tote und massive Verwüstung in Kauf nehmen, damit die Unternehmenszahlen stimmen.”  

HINTERGRUND

Im Jahr 2019 brach in Brumadinho, im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, der Rückhaltedamm einer Eisenerzmine. Mindestens 272 Personen kamen zu Tode, ein ganzer Landstrich wurde verwüstet und zehntausende Menschen kämpfen mit dem Verlust von sauberem Wasser und zerstörten Lebensgrundlagen. Aktivistin Carolina de Moura Campo und Menschenrechtsanwalt Danilo Chammas treten für die Rechte der Betroffenen ein. Ihr Einsatz für Gerechtigkeit ist einer von drei paradigmatischen Fällen von Menschenrechtsverstößen von Unternehmen, der im DOKUMENTARFILM „THE ILLUSION OF ABUNDANCE“ (www.theillusionofabundance.earth) dargestellt wird. Auf Einladung der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar, die auch die Produktion des Films unterstützte, waren die beiden Protagonist*innen zu Gast in Wien.  

Im April 2022 kündigte EU-Justiz-Kommissar Didier Reynders einen Entwurf für ein sektorübergreifendes europäisches Lieferkettengesetz an. Dem waren nationale Gesetze in Frankreich (2017) und Deutschland (2021) voraus gegangen. Eine von der Europäischen Kommission beauftragte und im Jahr 2020 veröffentlichte Studie zur freiwilligen Wahrnehmung von Sorgfaltsmaßnahmen in Liefer- und Wertschöpfungsketten hatte deutlich gezeigt, dass bislang zu wenig geschehen ist, um Menschenrechte und Umwelt entlang globaler Liefer- und Wertschöpfungsketten ausreichend zu schützen. Nur ein Drittel der befragten Unternehmen hatte angegeben, sich um Menschenrechts- und Umweltschutz in ihren Zulieferketten zu kümmern. Im März 2021 stimmte im Europäischen Parlament eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten für einen Initiativbericht, der auch einen Richtlinienvorschlag enthielt. Im Februar 2022 wurde von der Europäischen Kommission ein Entwurf für eine entsprechende Richtline veröffentlicht. Seither verhandeln die zuständigen Ministerien der EU-Mitgliedsstaaten in Arbeitsgruppen des Europäischen Rats zum Gesetzestext. Von den zuständigen Ausschüssen des EU-Parlaments werden noch heuer Stellungnahmen erwartet.    

In Österreich hat sich unter dem Motto „MENSCHENRECHTE BRAUCHEN GESETZE!“ www.menschenrechtebrauchengesetze.at ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis formiert, das für ein starkes Lieferkettengesetz und für ein verbindliches UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten eintritt. 

* Fallstudie: „Engagement bewEISEN – Menschenrechts- und Umweltschutz in Eisenerz-Lieferketten“ https://bit.ly/3R0ZL6z 
* Dokumentarfilm: „The Illusion of Abundance“ www.theillusionofabundance.earth  
* Fotos zur Verwendung: https://flic.kr/s/aHBqjAdVB9 

Herbert Wasserbauer
Referent Anwaltschaft/Projekte Lateinamerika
Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar
herbert.wasserbauer@dka.at
Telefon: +43-1-4810991-46
Mobil: +43-676-88011-1086

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