Opfer rechter Gewalt endlich ernst nehmen!

Skandalöser Umgang im Prozess gegen den Admin von ‘Judas Watch’

Ende März letzten Jahres wurden zwei Kärntner Brüder zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, der Oberste Gerichtshof bestätigte mittlerweile die Entscheidung der Geschworenen. In der heutigen Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Wien geht es nur mehr um die verhängten Strafhöhen: zehn Jahre für den Neonazirapper ‘Mr. Bond’ Philip H. und 4 Jahre für Benjamin H., unter anderem wegen des Betreibens von ‘Judas Watch’.

Der Wiener Anwalt & Opfervertreter Clemens Lahner zur damaligen Verantwortung beider: „Bei den Geständnissen der beiden Verurteilten handelte es sich offensichtlich nur um taktische Lippenbekenntnisse. Zur Wahrheitsfindung haben sie nicht beigetragen und auch Reue war nicht wirklich erkennbar.“ Wie derStandard unlängst berichtete, war das Geständnis von Philip H. nicht viel wert: “nur Monate später baut er aus dem Gefängnis sein internationales Neonazi-Netzwerk aus.”(1)

Philip H. war als Neonazi-Rapper ‘Mr. Bond’ nicht nur internationale Szene-Größe, er ist auch für die Verbreitung und Übersetzung des rassistischen Manifests des Christchurch-Attentäter, der am 15. März 2019 in zwei neuseeländischen Moscheen 51 Menschen ermordete, verantwortlich. Zufällig enttarnten die Behörden nach einer Hausdurchsuchung bei Philip H., seinen Bruder Benjamin H. als Betreiber der neonazistischen Hetzseite ‘Judas Watch’.

Auf der Website wurden öffentlich Feindeslisten von “Verräter an der Weißen Rasse” und “einflussreichen” Juden:Jüdinnen, inklusive Judenstern, geführt, wodurch Benjamin H. die “Zielsetzungen des „Dritten Reichs“, nämlich die Kennzeichnung und Verfolgung von Personengruppen, die als Feinde angesehen wurden, verherrlichte”, wie der Oberste Gerichtshof feststellte.

Skandalös ist jedoch der Umgang mit den Opfern von ‘Judas Watch’. “Als Journalist fuhr ich zum Verbotsprozess um Liedtexte des neonazistischen Musikers Mr. Bond nach Wien. Dort erfuhr ich in einem Nebensatz, dass der Zweitangeklagte als Betreiber des ‘Judas Watch-Portals längst ausgeforscht war. Als Betroffener bin ich davon weder von den Behörden in Österreich noch in Deutschland je informiert worden. Das bestätigt meine kritische Sicht auf den staatlichen Umgang mit der extremen Rechten, der auch durch das Ausblenden der Betroffenenperspektive gekennzeichnet ist.”, so der Journalist Robert Adreasch.

Die Journalistin Colette Schmidt schildert wie es ihr und vielen anderen Kolleg*innen ergangen ist: “Ich wurde ein einziges Mal vor etwa drei Jahren von einer Mitarbeiterin vom Verfassungsschutz kontaktiert und darauf aufmerksam gemacht, dass ich auf dieser Liste stehe, die jahrelang online war. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich das längst und die Liste war endlich offline. Weder Ermittler, noch Justiz haben mich darüber informiert, dass der Betreiber gefunden wurde. Ich erwarte mir von den Behörden, dass sie Wiederbetätigung und Hassverbrechen ernst nehmen. Und ich würde mir von den Behörden auch erwarten, dass sie Opfer dieser Verbrechen über so wichtige Ermittlungsergebnisse informieren. Es ist eigentlich unfassbar, wie allein gelassen ich und andere Kolleg:innen in der Medienbranche hier wurden.”

Bini Guttmann, Mitglied der Exekutive des Jüdischen Weltkongresses, der ebenfalls auf der Liste stand, sagt dazu “Nachdem der Betreiber der Online-Feindesliste nach sechs Jahren zufällig gefunden wurde, fanden die Behörden es nicht notwendig, die Opfer zu informieren. Und das, obwohl einem der Täter “besondere Gefährlichkeit” attestiert wird und der Verfassungsschutz uns persönlich mittels offiziellem Schreiben vor der Website warnte.” 

“Noch schlimmer das Gericht selbst: dieses verweigerte unsere Forderung nach Schadenersatz mit der (mittlerweile vom OLG Wien bestätigten) Argumentation, das Gericht hätte nicht festgestellt, wie lange die Beiträge online gewesen wären und wie oft sie abgerufen wurden – also Fragen, die das Gericht selbst hätte klären müssen. Dieses Vorgehen steht sinnbildlich für den Umgang österreichischer Behörden mit den Opfern rechter Gewalt: Anstatt ernst genommen zu werden, scheinen wir für den Staat eher eine lästige Störung zu sein”, so Guttmann weiter. 

Victoria Borochov, Präsidentin der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH), zeigt sich schockiert und fordert eine konsequentes Einschreiten gegen Rechtsterrorismus: “Ein weiteres Mal versäumen es Staat und Justiz, Opfer rechtsextremer Gewalt angemessen zu schützen und zu entschädigen. Dass Betreiber neonazistischer Webseiten nach jahrelanger Verbreitung antisemitischer ‘Judenlisten’ nur durch Zufall enttarnt werden können, ist eine Schande. Es zeigt sich wieder einmal eindeutig, dass der österreichische Staat nicht dazu in der Lage ist, Jüdinnen und Juden angemessen zu schützen. Wir rufen dazu auf, endlich Entschlossenheit im Kampf gegen rechtsextreme Gewalt zu zeigen.”

Auch Toma Khandour und Fridolin Tagwerker, aus dem Vorsitzteam der ÖH Uni Wien, finden deutliche Worte: „Das Unterschätzen der rechtsextremen Szene stellt eine Gefahr für marginalisierte Personen und Betroffene, die auf der Feindesliste der antisemitischen Hetzseite ‘Judas Watch’ genannt wurden, dar. Dass Betroffene nicht über das Verfahren informiert worden sind, ist untragbar. Wir fordern einen effektiven Schutz gegen rechte Gewalt statt Verharmlosung!“

Die Perspektiven von Betroffenen (2) müssen endlich ernst genommen werden, nicht nur von der Justiz. Es braucht umfassende Aufklärung über extrem rechte Netzwerke, sowie unabhängige Unterstützung für Opfer rechter Gewalt.
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Bini Guttmann
+43 6644030772

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