TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: “Empörung mit viel Heuchelei”, von Liane Pircher, Ausgabe vom Sonntag, 21. Mai 2023

Grenzen brauchen Kontrolle. Die entscheidende Frage ist, mit welchen Methoden.

Brutalität gegen Flüchtlinge, wie zuletzt auf Lesbos, hat keine Folgen. Die EU verdrängt lieber entscheidende Fragen zur Migration.
   An der griechischen Außengrenze der EU wurden also Asylsuchende, darunter Mütter mit Babys und kleinen Kindern, in manövrierunfähigen Rettungsinseln auf dem offenen Meer ausgesetzt. Belegt ist die Aktion mit Fotos und Videos eines österreichischen Flüchtlingshelfers und Recherchen der New York Times. Die Öffentlichkeit zeigt sich empört. Zu Recht. Schließlich verstößt Griechenland, wo heute übrigens ein neues Parlament gewählt wird, damit gegen das Völkerrecht und EU-Werte. Gleichzeitig schwingt bei dieser Empörung viel Scheinheiligkeit mit. Schließlich sind so genannte Pushbacks samt dem Einsatz von Gewalt an den EU-Außengrenzen nichts Neues und seit Jahren bekannte Praxis. Allein zwischen 2020 und 2021 sollen laut einem Bericht der Vereinten Nationen mindestens 17.000 Menschen mit Gewalt in die Türkei zurückgeführt worden sein. Konsequenzen hatte das bis dato nicht. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland wurde nicht eingeleitet. Das hat auch damit zu tun, dass die Europäische Kommission die menschenverach­tende Seite ihrer Asylpolitik gerne verdrängt. Seit zu vielen Jahren können sich die EU-Staaten auf keine gemeinsame Antwort in der Migration einigen. 

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