Symposion: Aktuelle Fragen einer Reform der Strafprozessordnung

Kooperationsveranstaltung im Parlament mit Peter Lewisch, Professor am Institut für Strafrecht der Universität Wien

Auf Einladung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Peter Lewisch, Universitätsprofessor am Institut für Strafrecht der Universität Wien, diskutierten heute Expert:innen im Rahmen eines Symposions im Parlament aktuelle Fragen bzw. grundsätzliche Möglichkeiten einer Reform der Strafprozessordnung (StPO).

Im ersten Teil der Veranstaltung hielten Eckart Ratz, früherer Präsident des Obersten Gerichtshofs (OGH), Ingeborg Zerbes von der Universität Wien, Bernd Ziska von der Staatsanwaltschaft Wien, Rechtsanwalt Michael Rohregger sowie Peter Lewisch Keynotes. Die Begrüßung übernahm in Vertretung von Nationalratspräsident Sobotka Parlamentsvizedirektorin Susanne Janistyn-Novák.

Ministerin Karoline Edtstadler hielt im zweiten Teil der Veranstaltung eine Keynote, anschließend fand eine Podiumsdiskussion mit den Abgeordneten bzw. den Justizsprecher:innen der im Parlament vertretenen Parteien statt.

LEWISCH ZU VERBESSERUNGSANSÄTZEN IM STRAFPROZESS

Universitätsprofessor Peter Lewisch sprach eingangs Verbesserungsansätze im Strafprozess an und thematisierte etwa den Schutz der Verfahrensrechte sowie Persönlichkeitsrechte des Betroffenen im Verfahren. Aufgrund von Entwicklungen der letzten Jahre seien aus seiner Sicht bestimmte Regelungsbereiche, aber auch Einzelbestimmungen zu überprüfen und gegebenenfalls auch neu auszutarieren. Strafverfahren seien heterogener geworden, so Lewisch. Es gebe eine erhebliche Spannweite unterschiedlicher Verfahren, eine beträchtliche Zahl längerer Verfahren sowie Änderungen bei Eingriffsintensität und Auswirkungen der Verfahrensführung.

Als großes Thema sieht er etwa eine “Verfahrensführung als De-facto-Strafe” mit etwaigen Negativwirkungen der Beschuldigtenstellung auf Berufs- und Privatleben. Selbige würden intensiviert durch eine “De-facto-quasi-Öffentlichkeit”. Diese “Stigmawirkung” des geführten Verfahrens treffe auch den Unschuldigen, so Lewisch.

Zur Vermeidung verurteilungsähnlicher Auswirkungen in Bezug auf Verdächtige, deren Unschuld sich später erweist, gebe es daher Bedarf an Nachbesserungen. Thematisiert würde in den folgenden Referaten etwa auch die Verfahrensbeschleunigung, die Lewisch eingangs ebenso vorstellte. Zur Verfahrensdauer brauche es aus seiner Sicht unter anderem ein strenges “Korsett” mit terminlichen Vorgaben. Zudem sprach er sich für die Einführung eines Kostenersatzes bei Verfahrenseinstellung bzw. Freispruch aus.

RATZ ÜBER LEITUNG DER STAATSANWALTSCHAFT UND GERICHTSKONTROLLE

Die Staatsanwaltschaft etwaig die Leitung durch ein parlamentarisch verantwortliches oberstes Organ zu entziehen, bedeute ein “Eigenleben einer Art vierter Staatsgewalt” und helfe weder Beschuldigten, der Demokratie oder dem Rechtsstaat, so der ehemalige OGH-Präsident Eckart Ratz. Zur Nachjustierung auf legislativer Ebene im Strafprozess sieht er eine Reihe von Möglichkeiten, beispielsweise im Bereich einer verbesserten Gerichtskontrolle und zum Persönlichkeitsschutz. So könnte aus seiner Sicht etwa ein subjektives Recht auf gerichtliche Beweisaufnahme zum Persönlichkeitsschutz festgeschrieben werden, insbesondere gegenüber Minderheitenausschüssen des Nationalrats. Ratz sprach sich unter anderem dafür aus, bei den strafrechtlichen Ermittlungen den Prozessstoff zu “ordnen”. Denn die StPO wolle genau das Gegenteil davon, “viele Terabytes” zu sammeln, sondern ein genaues Vorgehen, welches konkrete Material es für die Ermittlungen brauche. Die Staatsanwaltschaft könne zudem nach geltendem Recht praktisch sanktionslos beliebig lange und womöglich ohne klaren Blick auf die gesetzlichen Vorgaben ermitteln, warf Ratz unter anderem auch den Aspekt etwaige einzuräumender Säumnisbeschwerden auf.

ZERBES: TRANSPARENZ GEGENÜBER BETROFFENEN BEI DATENAUSWERTUNG VON HANDYS

Ingeborg Zerbes referierte über den “Brennpunkt” der Sicherstellung und Auswertung von Kommunikationsgeräten. Zu überlegen wäre aus ihrer Sicht etwa, auf Sicherstellungen von Kommunikationsgeräten wie Handys die rechtlichen Voraussetzungen der Nachrichtenüberwachung zu übertragen. Eine Strafschwelle, ob das Handy etwa bei Hausdurchsuchungen mitgenommen werden darf, halte sie allerdings für problematisch und lasse sich aus ihrer Sicht nicht umsetzen. Grundsätzlich schlägt sie aber die Schaffung von Transparenz wie bei der Nachrichtenüberwachung vor, damit derjenige, dessen Handy sichergestellt wurde, wisse, welches Datenmaterial noch vorhanden ist und verwertet werden kann. Dies nicht zuletzt, um so auch eine Verteidigungsstrategie aufbauen zu können. Technisch sieht Zerbes dabei aber etwa die Schwierigkeit, dass gewisse Daten nur durch spezielle Software sichtbar gemacht werden können oder auch nicht kopierbar seien. Für Daten in der “Cloud” kann sie sich insofern eine “saubere Trennung” vorstellen, dass Daten auf fremden Servern nur durch Maßnahmen der Nachrichtenüberwachung erreichbar sein könnten.

ZISKA: REFORMÜBERLEGUNGEN AUS STAATSANWALTLICHER SICHT

Reformüberlegungen aus staatsanwaltlicher Sicht traf Bernd Ziska von der Staatsanwaltschaft Wien. Ein wesentlicher Grundsatz bei den Persönlichkeitsrechten sei der Schutz der Unschuldsvermutung und dass das Ermittlungsverfahren nicht öffentlich stattzufinden habe. Aus seiner Sicht hätte eine Reform dort anzusetzen, dass das Recht auf Veröffentlichung insbesondere der/die Beschuldigte selbst haben sollte. Aus den Untersuchungsausschüssen werde hingegen oft der Weg geebnet, dass private Kommunikation den Weg in die Öffentlichkeit finde, so Ziska. Er sprach sich unter anderem auch für eine größere Flexibilität der Staatsanwaltschaft in Sachen Verfahrenstrennung aus.

Zur Sicherstellung eines Datenträgers sollten aus Sicht von Ziska die bisherigen Voraussetzungen bestehen bleiben. Außerdem sprach er sich dafür aus, den Umgang mit Daten generell gesondert zu regeln, weil die Gegenstandsbezogenheit auch in anderen Bereichen wie etwa beim Cybercrime zu Problemen führe. Er wünsche sich hier eine Expert:innenrunde zu den technischen Entwicklungen, die Analysen und Vorschläge für die Politik machen könnte.

ROHREGGER: “QUASI-ÖFFENTLICHKEIT” BEI GROSSEN VERFAHREN NICHT ZWECKMÄSSIG

Rechtsanwalt Michael Rohregger näherte sich, wie er sagte, der Materie aus Sicht von Beschuldigten und stellte Überlegungen zum Persönlichkeitsschutz, zur Verfahrensverbindung und Verfahrenstrennung ins Zentrum. Die “Quasi-Öffentlichkeit” bei großen Verfahren erachtete er als nicht erforderlich und zweckmäßig. Strafverfahren würden auch den Unschuldigen belasten, etwa im Hinblick auf den finanziellen und zeitlichen Aufwand, aber auch durch mediale Berichterstattung und Reputationsverlust. Die “Quasi-Öffentlichkeit” resultiere aus übergroßen Verfahren und werde dadurch verstärkt, dass nicht konkret ein Verbot der Veröffentlichung, sondern nur die Verwertung “im Interesse der Verteidigung” im Gesetz festgehalten sei.

Bei einzelnen Verfahrensbindungen seien selbige sinnvoll, bei großen Fällen wie “Ibiza” führe das zu Nachteilen für alle Beteiligten – etwa allein dadurch, dass jede:r Beschuldigte Einblick in den gesamten, umfassenden Akt bekomme und damit in wesentlich mehr als in die eigene Sache. Rohregger schlug vor, die Verfahrenstrennung als subjektives Recht auszugestalten. Das Problem liege insgesamt aus seiner Sicht in der Norm, nicht im Vollzug. Eine Einschränkung der Medien halte er nicht für notwendig. Es gelte aber, die StPO richtig auszugestalten. (Fortsetzung Symposion) mbu

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Webportal des Parlaments.

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