Kunst als Reflexion – Nachruf auf Dan Graham

Wien (OTS) – Als in den 1960/70er-Jahren im Zuge der Minimal- und Concept Art erstmals eine Generation akademisch gebildeter Künstler*innen die Szene betrat, war Dan Graham eine ihrer zentralen Figuren. Nach seinen Erfahrungen als kommerziell erfolgloser, aber zugleich weitblickender Galerist machte er sich, wie etwa auch seine Kollegen Donald Judd, Robert Morris oder Frank Stella als Kunstkritiker und -theoretiker einen Namen, galt es doch gegen die Deutungshoheit der konservativen Kritiker des abstrakten Expressionismus anzukämpfen, um den neuen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen.
Doch Dan Grahams kritischer Intellekt machte auch vor seinen Künstlerkolleg*innen nicht Halt. Schon früh warnte er davor, dass die Grundprinzipien der Minimal Art – wie etwa deren Anliegen, das Narrative und Subjektive aus der Kunst zu verbannen – perfekt in die kapitalistische Ideologie passen würden und ihre Kunst dort zum prestigeträchtigen Dekor verkommen könnte. So mobilisierte er gegen das Schweigen der minimalistischen Geometrien und der vorgeblichen Inhaltslosigkeit. Er selbst sperrte sich gegen die damals gängigen Begriffsetiketten und hat sich auch noch in einem Interview 2015 dagegen verwahrt, der Konzeptkunst zugeordnet zu werden, da er darin eine akademische Floskel sah. Auch auf Kunst allein wollte er sich nicht festgelegt wissen, fürchtete er dabei doch, dass seine Passion für eine analytische Betrachtung von Architektur, Tourismus und Rock and Roll nicht entsprechend erkannt werden könnte.

Als Kritiker wie auch textaffiner Künstler interessierte sich Dan Graham von Beginn an für das gesellschaftliche Umfeld der Kunst. Er gehörte zu jenen Pionieren medienbasierter und performativer Kunst, die mittels Fotografie, Film und Video Medien- und Gesellschaftsreflexion ineinander blendeten. Dabei spielte insbesondere Architektur als eine raumbezogene Kunstform, die das Individuum innerhalb sozialer Komponenten verortet, eine zentrale Rolle. „Der Kontext ist sehr wichtig. Ich wollte, dass meine Arbeit von Raum als Information, die präsent ist, handelt.“ (Dan Graham) Von seinen frühen Fotografien amerikanischer Reihenhäuser in der Fotoserie „Homes for America“ (1966/67) bis zu seinen begehbaren Spiegelarchitekturen, die seit Mitte der 1970er-Jahre entstanden, spannt sich ein Bogen sensibler Wahrnehmungsreflexionen für die im Räumlichen und Architektonischen verborgenen gesellschaftlichen Vorgaben und Restriktionen für das Individuum. Philosophische Erkenntnisse des Existentialismus und Poststrukturalismus prägten dabei sein Denken und Handeln mit. Das mag auch für seine frühe und intensive Rezeption in der europäischen Kunst- und Museumsszene mitentscheidend gewesen sein.

Seine Arbeiten mit den Spiegeln funktionieren wie Wahrnehmungsmaschinen, die durch gezielte Irritationen Wahrnehmungskonventionen unterbrechen und so die Möglichkeit schaffen, diese kritisch zu reflektieren. Innerhalb des Kunstraumes installiert der Künstler damit auch metaphorische Spiegel für die Funktionsweisen des öffentlichen Außenraums. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist auch die von dem Sammlerehepaar Gertraud und Dieter Bogner dem mumok als Schenkung überlassene Arbeit „Star of David Pavillion“ (1989). Die auf der Grundform des Davidsterns basierende Spiegelarchitektur platzierte der Künstler absichtsvoll im Umfeld des Schlosses von Gertraud und Dieter Bogner in Gars am Kamp in die idyllische Landschaft des Waldviertels, die von katholischen Kapellen und Andachtsorten geprägt ist. Gespiegelt wird hier nicht nur die prächtige Landschaft und unser eigener Blick, sondern ebenso ein weithin verbreiteter und hartnäckiger geschichtsblinder Fleck in Bezug auf eine belastete Vergangenheit. Das auf den ersten Blick Abstrakte und Geometrische erweist sich also in seinem jeweiligen Umfeld als äußerst inhaltsreiche und gesellschaftsbezogene Form. Dafür zu sensibilisieren war ein Anliegen Dan Grahams, mit dessen Tod die Kunstwelt nun eine Persönlichkeit verliert, deren künstlerischer Esprit einer mündigen Gesellschaft verpflichtet war.

Karola Kraus, Rainer Fuchs und das Team des mumok

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