Das mumok trauert um Günter Brus

Wie sehr der Ausbruch aus traditionellen künstlerischen Bahnen auch zugleich mit einer Kriminalisierung durch die Gesellschaft einhergehen kann, hat Günter Brus am eigenen Leib erfahren. Als er gemeinsam u. a. mit Otto Muehl, Oswald Wiener und Peter Weibel am 7. Juni 1968 die Aktion „Kunst und Revolution“ an der Wiener Uni durchführte, um beim Absingen der österreichischen Bundeshymne zu urinieren und zu masturbieren, schlug der Staat mit einer Verurteilung wegen obrigkeitsschädigendem Verhalten zurück. Worauf Brus mit Frau und Kind nach Berlin floh und dort – gemeinsam mit Gerhard Rühm und Oswald Wiener – die „Österreichische Exilregierung“ gründete und die Zeitschrift „Schastrommel“ herausgab. Schon zuvor, 1965, war der Künstler, als er weiß und schwarz bemalt in seinem „Wiener Spaziergang“ öffentliches Aufsehen erregte, in Polizeigewahrsam genommen worden. 

Den Anlass und Hintergrund für solche Aktionen bildete nicht nur eine verspätete Modernerezeption in der österreichischen Kunst, sondern vor allem eine in Bigotterie und Geschichtsverdrängung verharrende Gesellschaft, die sich durch die Kultivierung des Opfermythos und eines erzkonservativen Katholizismus ihrer NS-Vergangenheit zu entziehen trachtete. Die von Günter Brus und seinen Künstlerkollegen Otto Muehl, Hermann Nitsch und  Rudolf Schwarzkogler einzeln oder auch gemeinsam vollzogenen Aktionen, die als „Wiener Aktionismus“ den bedeutendsten Beitrag dieses Landes zur Kunst des 20. Jahrhunderts darstellen, sind so gesehen mit ihrer künstlerischen Relevanz auch geschichtsreflexive und -kritische Beiträge. 

International eingebettet waren Brus´ künstlerische Ausbruchsversuche und die seiner Kollegen in eine generell körperbezogene Kunst, die auch das Medium der Malerei durch aktionistische Erweiterung und Entgrenzung vor Erstarrung zu bewahren trachtete. Ausgegangen war Brus von seiner Faszination an den anarchisch-vitalen Aspekten expressionistischer Malerei der Moderne und deren Transformationen im Informell der 1950er-Jahre. In seinen eruptiven, schwarz-weiß gehaltenen Bildern zeigte sich bereits jene Entgrenzungsarbeit von bildgebundener Malerei, die er in seinen Körperaktionen konsequent fortsetzte – und dabei bis an die Grenzen der Selbstverletzung und -verstümmelung ging. Mitgetragen wurde seine Arbeit vor allem von seiner Frau Anna Brus, deren Rolle erst 2023 in einer Ausstellung im Grazer Bruseum der Neuen Galerie gewürdigt wurde. 

Mit seiner im Rahmen der Münchner Veranstaltung „Aktionsraum 1“ im Juni 1970 gezeigten „Zerreißprobe“, in der er seinen Körper malträtierte und dabei zugleich die Empathie des Publikums bis aufs Äußerste ausreizte, setzte er einen Schlusspunkt, der ohne Selbstauslöschung nicht zu überschreiten war. Der darin angezeigte und damals auch in feministischer Kunst weit verbreitete Bezug zum Märtyrertum konnte auch als eine Profanierung christlicher Ikonografie gelesen werden, wurde jedoch von den erzürnten Zeitgenossen in der Regel als Blasphemie wahrgenommen und inkriminiert. 

Nach dem Ende aktionistischer Grenzüberschreitungen besann sich der an der Kunstgewerbeschule in Graz und an der Akademie für angewandte Kunst in Wien ausgebildete Brus auf seine zeichnerischen und literarischen Fähigkeiten, die auch die eigentliche Basis seiner künstlerischen Karriere war. Die Attitüde des Bürgerschrecks wich durch seine „Bild-Dichtungen“ der Wahrnehmung des Künstlers als einen literarisch versierten und äußerst produktiven und innovativen Autor, Zeichner und Maler, was auf sein aktionistisches Werk zurückstrahlte und schließlich auch dazu führte, den einstigen Staatsfeind 1996 mit dem Staatspreis auszuzeichnen. Die späte Einsicht staatlicher Kulturpolitik ist hierzulande nichts Ungewöhnliches: Auch Künstler wie Egon Schiele und Oskar Kokoschka, auf die sich Brus in seinem Werk mitunter bezog, hatten es anfangs nicht leicht, um schließlich zu Heroen nationaler Identität stilisiert zu werden. 

In der Sammlungs- und Ausstellungspolitik des mumok nimmt Güner Brus mit dem Wiener Aktionismus eine zentrale Stelle ein. Die unter Edelbert Köb begonnene und bis heute fortgesetzte Sammlungs- und Ausstellungsinitiative für den Wiener Aktionismus weist das mumok als die weltweit umfangreichste Museumsammlung für diese Kunstrichtung aus. Um der darin erkennbaren, herausragenden Rolle von Günter Brus gerecht zu werden, wurde und wird sein Werk immer wieder in unterschiedlichen thematischen Zusammenhängen gezeigt: ob in der Zusammenschau mit der zeitgenössischen Aktions- und Performancekunst, in der Gegenüberstellung mit der expressionistischen Moderne oder im Kontext bühnenartiger Kunstbezüge – immer zeigt sich Brus´ völlig eigenständiges Potenzial der Verlebendigung und Aktualisierung von Kausalitäten zwischen Kunst und Gesellschaft. Mit seinem Tod verlieren wir einen international herausragenden Künstler und einen unersetzlichen Protagonisten gegen lokale Selbstgenügsamkeit. Unsere besondere Anteilnahme gilt seiner Frau und künstlerischen Weggefährtin Anna Brus sowie seiner Tochter Diana.

Karola Kraus, Rainer Fuchs und das Team des mumok

mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
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