EU will stärkeren Fokus auf Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Union legen

EU-Hauptausschuss trat im Vorfeld des EU-Sondergipfels am 17. und 18. April zu Beratungen zusammen

Geplante Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der EU, die Lage im Nahen Osten und in der Ukraine sowie die künftigen Beziehungen der EU zur Türkei standen im Mittelpunkt der Beratungen des für EU-Angelegenheiten zuständigen Hauptausschusses des Nationalrats, der heute im Vorfeld des EU-Sondergipfels am 17. und 18. April zu einer Sitzung zusammentrat. Sowohl Bundeskanzler Karl Nehammer als auch Europaministerin Karoline Edtstadler begrüßten dabei das Vorhaben der EU, künftig einen stärkeren Fokus auf die Industriepolitik zu richten. Die Industrie müsse im globalen Wettstreit wettbewerbsfähig bleiben, betonten sie. Vor allem ein Abbau von Bürokratie – auch im Bereich der Landwirtschaft – ist Nehammer ein Anliegen.

“Gute Nachrichten” brachte der Kanzler in Bezug auf die Sicherung der heimischen Gasversorgung mit. Durch den milden Winter sind die Gasspeicher ihm zufolge immer noch zu 75 % gefüllt. Auch sonst sieht er Österreich grundsätzlich gut für den Fall gerüstet, dass es infolge eines Stopps des Gastransits durch die Ukraine oder infolge anderer Ereignisse zu einem Totalausfall der russischen Gaslieferungen kommen sollte. In Zusammenhang mit den Angriffen des Irans auf Israel hob der Kanzler die Solidarität Österreichs mit Israel hervor, mahnte aber dazu, “Rationalität zu bewahren”.

Keine Mehrheit fanden zwei Anträge der FPÖ. Sie zielten zum einen darauf ab, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden und einen effektiven und lückenlosen Grenzschutz an der EU-Außengrenze zur Türkei einzurichten. Zum anderen drängten Petra Steger und Axel Kassegger auf eine “technologieneutrale” Wirtschafts- und Industriepolitik der EU samt Abkehr von “Klimaverboten” sowie eine Beendigung der Russland-Sanktionen. Diese würden sowohl Europa als auch der heimischen Wirtschaft enorm schaden und die Energieversorgung Österreichs gefährden, argumentierten sie. Auch einer weiteren gemeinsamen Schuldenaufnahme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union steht die FPÖ ablehnend gegenüber. Bei der Abstimmung blieb die FPÖ mit dieser Initiative allerdings alleine, der Türkei-Antrag erhielt auch die Zustimmung der NEOS.

NEHAMMER ORTET UMSCHWENKEN DER EU BEIM THEMA TECHNOLOGIEOFFENHEIT

Dass die EU künftig einen stärkeren Fokus auf das Thema Wettbewerbsfähigkeit richten will, hält Bundeskanzler Nehammer für richtig, wobei es ihm zufolge unter anderem um eine Stärkung des Binnenmarkts, eine gesamteuropäische Industriepolitik, eine bessere Rechtsetzung und eine starke Landwirtschaft geht. Sowohl für die Wirtschaft als auch für die Landwirtschaft sei eine Reduktion des Verwaltungsaufwands wesentlich, betonte er. So hält er umfangreiche Dokumentationspflichten insbesondere für kleinere Betriebe für ein großes Problem, zudem würden sie zu einer Wettbewerbsverzerrung zugunsten großer Unternehmen beitragen. Auch brauche es mehr Planbarkeit für Landwirtschaft und Industrie.

Von der SPÖ auf die ablehnende Haltung Österreichs zum Lieferkettengesetz angesprochen, sagte Nehammer, die Richtlinie sei zwar “gut gemeint, aber nicht gut gemacht”. Die ÖVP sei nicht gegen die Intention des Lieferkettengesetzes, sondern lehne die Art der Umsetzung ab. Auch hier befürchtet er insbesonders Nachteile für kleine Betriebe. Positiv bewertete er hingegen Pläne für eine Kapitalmarktunion: Es brauche einen europäischen Kapitalmarkt, damit mehr Risikokapital zur Verfügung stehe. Zu Vorschlägen einer europaweiten Mindestkörperschaftssteuer von 25 % merkte Nehammer an, Österreich stehe auch global gesehen in einem starken Wettbewerb.

In Richtung FPÖ versicherte der Kanzler, dass es eine “klare Ablehnung” Österreichs gebe, was eine weitere Vergemeinschaftung von Schulden betrifft. Zudem ortet er “ein Umschwenken” der EU beim Thema Technologieoffenheit. Hier werde nun ein stärkerer Fokus auf Innovation und Forschung gesetzt. Auch in Bezug auf eine Stärkung der Kreislaufwirtschaft, ein Thema das von den Grünen angesprochen wurde, setzt der Kanzler auf “Innovationskraft” statt auf Regulierung.

Auf weniger Regulierungen drängte auch Europaministerin Edtstadler. Der Binnenmarkt sollte ein Booster und keine Bremse für österreichische Unternehmen sein, machte sie sich für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU stark.

WEITERE UNTERSTÜTZUNG DER UKRAINE

Was die Ukraine betrifft, hält es Nehammer für wesentlich, dass die EU das Land weiter umfassend unterstützt, wobei er Österreich als nach wie vor “solidarischen Partner” bezeichnete. Jede Form der Schwäche würde Russland zu weiteren Angriffen ermutigen, glaubt er. Man dürfe eine diesbezügliche Erwartungshaltung Russlands nicht befördern.

Auch an den Russland-Sanktionen will Nehammer – im Gegensatz zur FPÖ – nicht rütteln. Diese hätten zwar nicht so rasch gewirkt wie erwartet, da Russland rasch auf eine “Kriegswirtschaft” umgestellt habe, sagte er, sie würden aber wirken. So sei der Zugang Russlands zu Hochtechnologie erschwert worden. Um ein Umgehen der Sanktionen zu verhindern, hält es der Kanzler für wichtig, die BRICS-Staaten – also etwa China, Indien und Südafrika – “ins Boot zu holen”. Ihre Einbindung sei außerdem unumgänglich, wolle man einen “nachhaltigen und gerechten” Frieden erreichen.

Was die Gasversorgung betrifft, hat Österreich Nehammer zufolge bereits einige Vorsorgemaßnahmen für den Fall ergriffen, dass es zu einem Totalausfall der Gaslieferungen aus Russland kommen sollte. Neben der Pflicht zur Gasbevorratung verwies er in diesem Zusammenhang etwa auf die Sicherung von Pipeline-Kapazitäten, den Bau einer zweiten Pipeline nach Deutschland und vereinbarte Gaslieferungen aus Norwegen. Durch den milden Winter seien die Gasspeicher derzeit zudem zu 75 % gefüllt. Nehammer reagierte damit auf Ausführungen von FPÖ-Abgeordnetem Kassegger, wonach es sich nicht ausgehen werde, die Gasimporte Russlands durch erneuerbare Energie zu substituieren.

Zum angestrebten Rückzug der Raiffeisen Bank aus dem russischen Markt hielt Nehammer fest, er habe keine Hinweise darauf, wonach Raiffeisen plane, sich vom Ausstieg zu verabschieden. Auch würde “die Sanktionskonformität” laut Raiffeisen penibel eingehalten. Davor hatte SPÖ-Abgeordneter Kai Jan Krainer von einem Artikel in den Financial Times berichtet, wonach Raiffeisen das Personal in Russland in den vergangenen zwei Jahren aufgestockt habe und nun mehr als 3.000 neue Mitarbeiter:innen suche. Das sehe mehr nach massiven Expansionsplänen als nach einem Ausstieg aus, meinte er.

NEHAMMER BESORGT ÜBER LAGE IM NAHEN OSTEN

Besorgt zeigte sich Nehammer über die Lage im Nahen Osten. Mit dem direkten Angriff des Iran auf Israel sei eine neue Eskalationsstufe erreicht worden, meinte er. Österreich habe diesen “völlig unverantwortlichen” Angriff unmissverständlich verurteilt und den iranischen Botschafter einbestellt. Nehammer bekundete in diesem Zusammenhang auch volle Solidarität mit Israel, hält es auf der anderen Seite aber auch für wichtig, “Rationalität zu bewahren”. Europaministerin Edtstadler zeigte sich darüber erfreut, dass Israel 99 % der Drohnen und Marschflugkörper ausschalten konnte.

Was die Lage der Geiseln im Gaza-Streifen anlangt, betonte Nehammer, dass sich Österreich in bilateralen Kontakten weiter bemühe, eine Befreiung der Geiseln oder zumindest einen humanitären Zugang zu ihnen zu erreichen. Derzeit gebe es keine Lebenszeichen von den Geiseln und auch keine verlässlichen Quellen, wie viele Geiseln tatsächlich am Leben seien. Auch würde Österreich weiterhin humanitäre Hilfe im Gazastreifen leisten, wobei die Hamas Nehammer zufolge die Situation der Bevölkerung “von einem Tag auf den anderen” deutlich verbessern könnte, würde sie ihre Waffen niederlegen.

NEUAUSRICHTUNG DER BEZIEHUNGEN ZUR TÜRKEI

Ausdrücklich begrüßt wurde von Nehammer das Strategiepapier der EU zur Neuausrichtung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei. Eine neue Art der Kooperation würde beiden Seiten mehr nutzen als der gegenwärtige Stillstand bei den Beitrittsverhandlungen, ist er überzeugt. Generell hält er eine Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei für alternativlos: Es wäre seiner Ansicht nach fatal, würde man die Türkei als geostrategischen Partner verlieren. Das unterstrich auch ÖVP-Abgeordneter Wolfgang Gerstl.

Zuvor hatte FPÖ-Abgeordnete Petra Steger kritisiert, dass Österreich und die EU in Sachen Sanktionen mit zweierlei Maß messen würden. Obwohl die Türkei völkerrechtswidrig in Syrien “eingefallen” sei und den Irak bombardiere, würden Milliarden an “Heranführungshilfe” in die Türkei fließen. Auch der “Flüchtlingsdeal” mit der Türkei gehört ihrer Meinung nach beendet. Die EU dürfe sich nicht ständig von der Türkei “erpressen” lassen, erklärte sie.

Der Forderung der FPÖ nach einer Beendigung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei schloss sich auch NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak an. Diese hätten nicht das bewirkt, was man bewirken habe wollen, im Gegenteil, argumentierte er. Daher sei es notwendig, “einen Schlussstrich zu ziehen”. Scherak begrüßt in diesem Sinn auch die österreichische Position zur von der EU geplanten Neuausrichtung der Beziehungen.

STÄRKUNG DER WETTBEWERBSFÄHIGKEIT DER EU: OPPOSITION FORDERT TATEN

Was die geplante Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU betrifft, forderten Scherak und FPÖ-Abgeordneter Kassegger Taten. Worte alleine seien zu wenig, man müsse die an sich guten Intentionen der Strategie mit Leben erfüllen, sagte Scherak. Zudem machte er geltend, dass Österreich bei Regulierungsschritten letztendlich immer mit dabei gewesen sei, mit Ausnahme der Ablehnung des Lieferkettengesetzes.

Als “eine Aneinanderreihung von Worthülsen” sieht FPÖ-Abgeordneter Kassegger die EU-Strategie für Wettbewerbsfähigkeit. In der Praxis passiere das genaue Gegenteil, meinte er und sprach etwa von “Bürokratiewahnsinn”, der der europäischen Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext schade. Auch bringt es seiner Auffassung nach global gesehen gar nichts, die Treibhausgasemmissionen in Europa “auf null zu stellen”, dadurch würde lediglich die europäische Industrie geschwächt. Auch die Corona-Lockdowns hätten sich negativ auf die Leistungsfähigkeit Europas ausgewirkt.

Kritik übte Kassegger darüber hinaus an der Schuldenpolitik der EU und der Nullzinspolitik der letzten Jahre sowie an der EU-Migrationspolitik. Die “enormen Kosten”, die die Migration verursache, würden Spielräume zur Entlastung von Unternehmen einengen.

GRÜNE: GREEN DEAL DARF NICHT AUS DEN AUGEN VERLOREN WERDEN

Seitens der ÖVP hob Maria Theresia Niss die Notwendigkeit hervor, den europäischen Wirtschaftsraum und den Binnenmarkt zu stärken. Es gebe immer noch viele Bereiche, wo es 27 unterschiedliche Regeln in der EU gebe, meinte sie. Zudem sei es “ein Gebot der Stunde”, dem Green Deal einen “Industrial Deal” entgegenzusetzen. Es brauche Bürokratieabbau. In Richtung FPÖ und NEOS hielt Niss fest, die ÖVP habe als einzige österreichische Partei im Europäischen Parlament gegen das Lieferkettengesetz gestimmt.

Michel Reimon (Grüne) warnte demgegenüber davor, die Klimapolitik aus dem Fokus zu verlieren. Kommissionspräsidentin Van der Leyen habe mit dem Green Deal einen sehr ambitionierten – wenn auch nicht ganz ausreichenden – Klimaplan vorgelegt, der sich auch in der neuen strategischen Agenda wiederfinden müsse, mahnte er. Er sieht außerdem einen gemeinsamen Nenner von Klimapolitik und Sicherheitspolitik, schließlich seien Länder wie Russland, Iran oder Saudi-Arabien “fossil finanzierte Regime”.

Seine Fraktionskollegin Elisabeth Götze gab zu bedenken, dass Klimaschutz und Wirtschaft zu lange gegeneinander ausgespielt worden seien. Eine Folge davon sei, dass andere Länder bei der Produktion von E-Autos “an der EU vorbeiziehen”. In diesem Sinn hält sie es für positiv, dass nun ein stärkerer Fokus auf das Thema Wettbewerbsfähigkeit gerichtet werde. Ein Anliegen ist Götze dabei auch die Forcierung der Kreislaufwirtschaft, um Rohstoffe zu sparen. In Bezug auf die Agrarpolitik hob Götze hervor, dass sich viele heimische Bauern eine bessere Herkunftskennzeichnung wünschen würden.

SPÖ POCHT AUF FAIRE ARBEITSBEDINGUNGEN UND LEISTBARE STROMPREISE

Faire Arbeitsbedingungen seien das Herzstück eines fairen Binnenmarkts, machte SPÖ-Abgeordneter Alois Stöger geltend. Er forderte Bundeskanzler Nehammer in diesem Sinn auf, sich für die soziale Dimension des Binnenmarkts einzusetzen. Seiner Ansicht nach braucht es außerdem einen europäischen Mindestlohn, damit österreichische Unternehmen gegenüber osteuropäischen wettbewerbsfähig bleiben. Wer ein europäisches Lieferkettengesetz ablehnt, sorge überdies dafür, dass heimische Unternehmen mit Unternehmen in Konkurrenz treten müssten, die von Kinderarbeit profitieren, hob Stöger hervor. Ohne Berichtspflichten ist es ihm zufolge überdies schwierig, die EU zu steuern.

Stögers Parteikollegin Michaela Schmidt vermisst die Verankerung von Zielen wie Leistbarkeit, Versorgungsicherheit und Nachhaltigkeit im neuen Strommarktdesign der EU. Stabile und leistbare Energiepreise seien sowohl für die Bevölkerung als auch für Unternehmen wichtig, bekräftigte sie. Schmidt machte zudem “die falsche Gestaltung des Strommarktes” als wesentlichen Faktor für die “Teuerungskrise” verantwortlich. Es gehe auch nicht an, dass die öffentliche Hand viel in den Ausbau erneuerbarer Energie investiere, während die Früchte des Ausbaus bei den Energiekonzernen landen. Petra Oberrauner (SPÖ) wies darauf hin, dass ein Mindestsatz von 25 % für die Körperschaftsteuer zu einem harmonisierten Wettbewerb führen würde.

Die Situation im Nahen Osten wurde unter anderem von den ÖVP-Abgeordneten Michaela Steinacker und Wolfgang Gerstl angesprochen, wobei sich Steinacker ausdrücklich bei Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg dafür bedankte, dass diese sich für Israel und den Bestand dieser Demokratie im Nahen Osten einsetzten. Gerstl machte darauf aufmerksam, dass die Drohnen, die der Iran nach Israel geschickt hat, die gleichen seien, die von Russland in Richtung Ukraine geschickt würden. Christian Oxonitsch (SPÖ) betonte, man müsse alles tun, um eine Eskalation zu verhindern, und Schritte setzen, die zu Frieden führen.

Zu den von Steinacker angesprochenen EU-Beitrittsverhandlungen mit den Westbalkanstaaten hielt Europaministerin Edtstadler fest, Montenegro sei zuversichtlich, die Beitrittskriterien bis zum Jahr 2028 erfüllen zu können. Albanien strebe das für das Jahr 2030 an. Am bestehenden Einstimmigkeitsprinzip in wesentlichen Fragen will sie auch bei einer EU-Erweiterung nichts ändern. FPÖ-Abgeordnete Petra Steger hatte davor gemeint, die Erweiterungsdebatte dürfe nicht dazu führen, das Einstimmigkeitsprinzip in der EU abzuschaffen. (Schluss) gs

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