Novelle des Psychotherapiegesetzes – eine vertane Chance für psychisch Kranke

Psychiatrische Gesellschaften kritisieren die künftige praktische Ausbildung von Psychotherapeut:innen als mangelhaft

Im kürzlich beschlossenen Gesetz gehört die eigenverantwortliche Diagnostik und Behandlung von psychischen Erkrankungen zu den Aufgaben von Psychotherapeut:innen. Im Gegensatz zu anderen Gesundheitsberufen ist eine praktische Ausbildung in Einrichtungen der Krankenbehandlung nicht verpflichtend. Da Psychotherapeut:innen. psychisch Erkrankte eigenverantwortlich behandeln dürfen, ist es unabdingbar, dass sie zumindest einen Teil ihrer Ausbildung in psychiatrischen Facheinrichtungen absolvieren müssen. Psychopathologische, medizinisch-diagnostische und therapeutische Kenntnisse müssen dort erworben werden, wo die Expertise vorhanden ist und sie im Alltag verwendet wird. Der Präsident der Österreichische Gesellschaft für Sozialpsychiatrie (ÖGSP) Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata erläutert „Niemand will seine Blinddarmentzündung von einem Arzt diagnostizieren und operieren lassen, der noch nie einen Operationssaal betreten hat. Psychisch Kranken wird das zugemutet.“ 

Das soeben verabschiedete Psychotherapiegesetz ermöglicht eine Ausbildung von Psychotherapeut:innen vorbei an der Medizin und speziell an der Psychiatrie. Das wird sich zum Nachteil für viele psychisch Erkrankte auswirken. Es ist also zu befürchten, dass medizinisch unzureichend ausgebildete Psychotherapeut:innen die Grenzen der psychotherapeutischen Heilmethoden nicht immer klar erkennen können und dadurch körperlich und psychisch Erkrankte unzureichend behandeln bzw. potenziell sogar gefährden. Die Vizepräsidentin der Österreichische Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie (ÖGAPP) Primaria Dr. Christa Rados dazu „Psychisch kranke Menschen haben ein Recht darauf von umfassend ausgebildeten Therapeutinnen und Therapeuten behandelt zu werden. Die Chance eine qualitativ hochwertige praktische Ausbildung verpflichtend einzuführen wurde nicht genutzt.“

Im neuen Gesetz ist eine Akademisierung der Ausbildung im Sinne eines Bachelor- und Masterstudiums vorgesehen. Daran schließt eine mehrjährige postgraduelle Ausbildung an, die bei „psychotherapeutischen Fachgesellschaften“ auf kostenpflichtiger Basis zu absolvieren sein wird. Die unter anderem von Bundesminister Rauch getätigte Behauptung, die psychotherapeutische Ausbildung sei nun „kostengünstiger“ geworden, ist aus zwei Gründen zu relativieren: (1) nur manche Studierende werden einen mit öffentlichen Geldern finanzierten Studienplatz bekommen und (2) für die praktische Ausbildung werden weiterhin Kosten im fünfstelligen Bereich anfallen.  

Die beschlossene Novelle des Psychotherapiegesetzes ist leider nicht der angekündigte große Wurf, der zu einer besseren Versorgung psychisch Erkrankter führen hätte können.

Österreichische Gesellschaft für Sozialpsychiatrie (ÖGSP): https://sozialpsychiatrie.at
kontakt@sozialpsychiatrie.at
Kontakt: Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata (+43-664-4440476)

Österreichische Gesellschaft für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie (ÖGAPP): http://www.alterspsychiatrie.at/

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