Simon-Wiesenthal-Preis 2022: Auszeichnung für Projekte gegen Antisemitismus und Aufklärung über den Holocaust im Parlament verliehen

Hauptpreis für “Gedenken im Wohnzimmer”, Zeitzeug:innen geehrt

Zum zweiten Mal wurde am Montag im Parlament zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für die Aufklärung über den Holocaust mit dem Simon-Wiesenthal-Preis ausgezeichnet. Auch in diesem Jahr stieß er mit über 260 Bewerbungen aus mehr als 30 Ländern auf großes internationales Interesse. Projekte wurden unter anderem aus Israel, den USA, Argentinien, Peru und Südafrika eingereicht. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka dankte den Teilnehmer:innen und den Zeitzeug:innen für ihren “unschätzbaren Dienst” im Kampf gegen den Antisemitismus.

Den Hauptpreis erhielt die israelische Initiative Zikaron BaSalon (“Gedenken im Wohnzimmer”), bei der Privatpersonen in ihre Wohnzimmer einladen und Holocaust-Überlebenden die Möglichkeit bieten, ihre Erinnerungen zu teilen. In der Kategorie “Aufklärung über den Holocaust” wurde Waltraud Barton mit ihrem Verein IM-MER ausgezeichnet, der das Gedenken an über 10.000 ermordete Österreicher:innen bewahrt, die nach Minsk und Maly Trostinec deportiert wurden. Für seinen Kampf gegen Antisemitismus würdigten Jury und Kommission Mohammed S. Dajani Daoudi, der jüdisch-israelische Universitätsstudent:innen über die Nakba (Vertreibung und Flucht der Palästinenser 1948) und palästinensische Studierende über den Holocaust aufklärte, was zum Verlust seiner akademischen Stellung und Bedrohung seiner persönlichen Sicherheit führte. Der Simon-Wiesenthal-Preis ist insgesamt mit 30.000 € dotiert, wobei 15.000 € auf den Hauptpreis und je 7.500 € auf die zwei weiteren Kategorien entfallen.

Geehrt wurden auch die Zeitzeug:innen Wanda Albińska (Polen), Lucia Heilman (Österreich), Tswi Herschel (Israel) und Jackie Young (Großbritannien). Heilmann sprach auch mit der Jury-Vorsitzenden und Antisemitismusbeauftragten der EU-Kommission, Katharina von Schnurbein, sowie Wiesenthal-Enkelin Racheli Kreisberg über Wesen und Zukunft der Zeitzeugenschaft. Zu Ehren des verstorbenen Journalisten und Simon-Wiesenthal-Preisträgers Karl Pfeifer las Schauspielerin Martina Ebm aus dessen Aufzeichnungen, die er in Buchform noch selbst im Parlament präsentieren wollte. Die musikalische Umrahmung der Preisverleihung lieferten Jasmin Meiri-Brauer und Jannis Raptis. Durch den Abend führte Moderatorin Lisa Gadenstätter vom ORF.

NATIONALRATSPRÄSIDENT SOBOTKA ÜBER DEN KAMPF GEGEN DAS “UR-ÜBEL” ANTISEMITISMUS

In seinen Eröffnungsworten erinnerte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka an den Architekten, Publizisten und Schriftsteller Simon Wiesenthal (1908-2005), der es sich nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen zur Lebensaufgabe machte, Gerechtigkeit für die Opfer des NS-Regimes herbeizuführen und die Täter:innen zur Rechenschaft zu ziehen. Es sei eine Ehre für das Parlament, dass der Preis seinen Namen tragen dürfe. Wiesenthal sei in Österreich nicht immer so behandelt worden, wie es sich gehört hätte, doch wüsste Österreich heute, was es ihm schuldete, so Sobotka. Er habe als “Lichtgestalt der Zweiten Republik” Enormes für die Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus geleistet und viele Täter:innen vor Gericht gebracht – nicht aus Rache, sondern als klares Bekenntnis zum Rechtsstaat.

Es habe lange gedauert, bis Österreich sich zu seiner Geschichte bekannt habe, erklärte Sobotka. Nun müsse man im Sinne Wiesenthals alles tun, damit es nie wieder so weit komme. “Nie wieder” dürfe nicht zu einer hohlen Floskel verkommen, sondern müsse mit Leben gefüllt werden. Antisemitismus bezeichnete er als “Ur-Übel” der Europa seit Jahrhunderten geprägt habe. Es sei kein reines Phänomen des rechten oder linken Randes, sondern komme aus der Mitte der Gesellschaft und müsse gerade in Zeiten seines Anwachsens entschieden bekämpft werden. Wiesenthal und andere Zeitzeug:innen würden dafür eine Richtschnur bieten, dankte Sobotka für deren “unschätzbaren Dienst” und zeigte sich erfreut, dass das Parlament dafür eine Plattform biete.

“GEDENKEN IM WOHNZIMMER” ERHÄLT HAUPTPREIS

1,5 Mio. Gastgeber:innen und Teilnehmer:innen aus über 65 Ländern nahmen seit ihrer Entstehung im Jahr 2011 bereits an der israelischen Initiative Zikaron BaSalon teil. Beim “Gedenken im Wohnzimmer” – so der der deutsche Titel – laden Privatpersonen in eben jenes ein, um Shoah-Überlebenden die Möglichkeit zu geben, ihre Erfahrungen zu teilen. Dieses Umfeld bewirkt oftmals erst, dass diese von ihren Erlebnissen erzählen können. Deren Zeugnisse seien einer der “wirksamsten Impfstoffe gegen Antisemitismus”, erklärte Jury-Vorsitzende und Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission, Katharina von Schnurbein, in ihrer Laudatio. Diese Wirkung müsse genutzt werden, solange es noch möglich ist.

Sharon Buenos von Zikaron BaSalon sprach ebenfalls von der Verpflichtung, den noch lebenden Zeitzeug:innen eine Chance zu geben, ihr Zeugnis von den Geschehnissen während der NS-Zeit abzuleben. Bei ihrem Projekt gehe es darum, Brücken sowohl zwischen Ländern als auch zwischen Generationen zu bauen.

Nominiert waren auch das Dialogprojekt LIKRAT, das jüdische und nicht-jüdische Jugendliche zusammenbringt, das Schwedische Komitee gegen Antisemitismus und der Kulturverein Mota de Judios – letzteren für seine Bemühungen, das historisch-jüdische Erbe eines spanischen Dorfes wiederzubeleben und den für Juden beleidigenden Namen des Dorfes zu ändern.

PREIS FÜR AUFKLÄRUNG ÜBER DEN HOLOCAUST GING AN WALTRAUD BARTON

Den Preis in der Kategorie “Aufklärung über den Holocaust” erhielt Waltraud Barton, Gründerin des Vereins IM-MER. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Gedenken an über 10.000 im Zweiten Weltkrieg nach Minsk und Maly Trostinec deportierte und im Großraum Minsk ermordete Österreicher:innen zu bewahren. Bartons “unermüdlichem Einsatz” für die Erinnerung an die Deportierten sei es zu verdanken, dass es nun auch ein dementsprechendes Mahnmal gebe, sagte Historikerin und Jury-Mitglied Brigitte Bailer bei der Verleihung. Maly Trostinec sei vielen Österreicher:innen kein Begriff gewesen, obwohl nirgendwo anders so viele Wiener:innen deportiert und ermordet worden seien, berichtete Barton. An dieses “unvorstellbar Monströse” erinnere nun ein Mahnmal, das es unübersehbar mache und den Ort im kollektiven Gedächtnis verankere. 

Zu den Nominierten zählte auch der Verein für aktive Gedenk- und Erinnerungskultur, der mittels jährlichem Dialogforum und Gedenkwanderung an die lange vergessene Flucht von Jüd:innen über die österreichischen Alpen 1947 erinnert und der Verein Zweitzeugen, durch den vor allem junge Menschen ermutigt werden, die Lebensgeschichten der Zeitzeug:innen als “zweite Zeug:innen” weiterzugeben.

MOHAMMED S. DAJANI DAOUDI FÜR SEIN ENGAGEMENT GEGEN ANTISEMITISMUS AUSGEZEICHNET

Im Frühjahr 2014 wurde Mohammed S. Dajani Daoudi über die Grenzen Israels hinaus bekannt, als er für eine Gruppe von 27 palästinensischen Student:innen eine Reise nach Auschwitz organisierte. Sein Ziel war es, diese über den Holocaust und jüdisch-israelische Student:innen über die Nakba – die Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948 – aufzuklären. Dies führte zum Verlust von Dajanis akademischer Stellung an der Al-Quds Universität und zur Bedrohung seiner persönlichen Sicherheit. Laudator Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Religionsgesellschaft Österreich, sprach von der Relevanz eines historischen Bewusstseins für ein gelingendes Zusammenleben. Die Auszeichnung würdige nicht nur den Mut des Preisträgers, sondern vor allem seinen “ganz persönlichen Beitrag” im Kampf gegen den Antisemitismus. In seiner Dankesrede drückte Mohammed S. Dajani Daoudi seine Hoffnung darüber aus, dass eines Tage das Wissen über die Ignoranz siege.

Von der Jury vorgeschlagen wurden auch die Europäische Janusz Korczak Akademie, die sich für die Stärkung der jüdischen Gemeinschaft und Identität sowie für den interreligiösen Dialog einsetzt sowie der Verein für Demokratie und Information DEIN e.V., der sich gegen Antisemitismus, Geschichtsverzerrung und Hasspropaganda engagiert.

GESPRÄCH ÜBER WESEN UND ZUKUNFT DER ZEITZEUGENSCHAFT

Im anschließenden Gespräch erzählte Zeitzeugin Lucia Heilman von der Angst, die sie im NS-Regime erfuhr und die auch ihr Leben nach dem Zweiten Weltkrieg prägte. Lange Zeit habe sie nicht darüber sprechen können. Für sie mache es jedoch einen großen Unterschied, ob Menschen aus Büchern von den damaligen Geschehnissen erfahren, oder ob sie diese von Überlebenden vermittelt bekommen. Heilman erzählte von den Reaktionen von Schüler:innen, denen sie ihre Geschichte erzählte und zeigte sich beeindruckt von den Fragen, die diese stellten.

Wiesenthal-Enkelin Racheli Kreisberg berichtete von Erlebnissen mit ihrem Großvater und wie sich das Verhältnis seiner Heimat Österreich zu ihm über die Jahre verändert habe. Sei die Beziehung früher noch eher von Angst geprägt gewesen, habe diese sich immer mehr verbessert – bis in die Gegenwart, in der in seinem Namen ein Preis im Parlament verliehen werde.

Auf die Bedeutung der Zeitzeugenschaft ging die Antisemitismusbeauftragte der EU-Kommission, Katharina von Schnurbein, ein. Diese sei für die Überlebenden oftmals auch mit Schmerz verbunden, da sie das Erlebte immer wieder ins Bewusstsein rufen müssten. Solange es diese Möglichkeit gebe, müsse sie genutzt werden. Künftig werde es notwendig sein, auch junge Menschen dazu zu befähigen, diese Geschichten weiter zu erzählen. (Schluss) wit

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Webportal des Parlaments.

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