Weltbodentag: Bodenverbrauch gefährdet nachhaltig die Zukunft Österreichs

Arbeitsplätze, Umwelt und Landwirtschaft sind die größten Verlierer – Bischof Alois Schwarz und Christine Haiden neue Botschafter für den Erhalt unserer Böden

Wien (OTS) – (Österreichische Hagelversicherung, 3. Dezember 2018):
Einen dringenden Appell nach einer Korrektur der Bodenpolitik richten
Vertreter von Kirche, Wissen­schaft, Medien und Wirtschaft an die
Verantwortlichen in Bund, Ländern und Ge­meinden: „Es wird in
Österreich noch immer zu viel an Fläche täglich neu verbaut. Wir
liegen um das Fünffache über dem Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie
aus dem Jahr 2002, erneuert im Masterplan für den ländlichen Raum.
Dieser ist Bestand­teil des jetzigen Regierungsübereinkommens und
legt den Zielwert für den Bo­denverbrauch mit 2,5 Hektar pro Tag
fest. Wir gefährden mit der Entwicklung die Zukunft Österreichs!“,
erklären Dr. Alois Schwarz, Diözesanbischof von St. Pölten, Dr.
Christine Haiden, Chefredakteurin der Zeitschrift „Welt der Frauen“,
Univ. Prof. DDr. Friedrich Schneider, Johannes Kepler Universität
Linz und Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung, und Dr.
Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzen­der Österreichische
Hagelversicherung. Im gemeinsamen Appell heißt es weiter: „Der Boden
ist eine unentbehrliche Lebensgrundlage. Der gegenwärtige tägliche
Bodenverbrauch von 12,4 Hektar, oder umgerechnet rund 20
Fußballfelder, ist ein gigantisches Umweltproblem. Wir fordern eine
Korrektur der Bodenpolitik, eine Reform der Raumordnung unter
Einhaltung des Zielwertes in der Größenordnung von 2,5 Hektar pro
Tag.“

Weinberger: Die mehr als 40.000 Hektar leerstehender Immobilien
müssen revi­talisiert werden

In den letzten 10 Jahren wurden rund 20 Hektar Äcker und Wiesen
(entspricht 30 Fußballfeldern) zubetoniert. Und das jeden Tag! Kein
zweites Land in Europa geht so verantwortungslos mit der Verbauung
unserer Böden um. Österreich ist hier Rekordhalter. Hält diese
Entwicklung an, stehen in 200 Jahren keine nutzbaren Agrarböden mehr
zur Verfügung. Dabei ist der Boden das wertvollste Gut. Doch Grünland
und Ackerböden – meist verbal zu “Flächen” herabgestuft – schrumpfen
weiter dramatisch.

• Mit immer weniger Boden ist unsere Versorgung mit
heimischen Lebensmitteln zunehmend gefährdet.

• Mit immer weniger Boden riskieren wir die rund 500.000
Arbeitsplätze entlang der agrari­schen Wertschöpfungskette.

• Mit immer weniger Boden verlieren wir weiter die Schönheit
der Natur Österreichs.

• Mit immer weniger Boden wird am Ende auch der Tourismus
verlieren. 4 von 5 Österreichern sehen die Landschaft als zunehmend
verschandelt an.

• Mit immer weniger Boden kommt es zu einem weiteren Verlust
der Artenvielfalt. So hat Ös­terreich in den letzten Jahrzehnten
bereits 70 Prozent seiner Wirbeltierbestände eingebüßt.

Der Bodenverbrauch hat auch unmittelbare Auswirkungen auf den
Wasserhaus­halt: Regenwasser kann weniger gut versickern, sodass die
Grundwasservorräte nicht aufgefüllt werden und Überschwemmungen
zunehmen. Auch das Klima wird durch den Wegfall des Bodens als
CO₂-Speicher negativ beeinflusst: Durch verbau­te Böden kann kein
Wasser verdunsten, weshalb sie im Sommer nicht zur Kühlung der Luft
beitragen. Hinzu kommt, dass sich vermehrt CO₂ in der Atmosphäre
befin­det, Dürreperioden wie im heurigen Jahr nehmen zu. All das ist
ein nicht gehörter Hilfeschrei der Natur: Stoppt diese Zerstörung der
Umwelt!

Auf der anderen Seite haben wir einen Leerstand in Österreich in
der Größenord­nung der Stadt Wien. Landauf, landab werden aber neue
riesige Industriehallen und Gebäude – meist ohne jede vorhandene
Infrastruktur (Kanalisation, Straßen) – sowohl in Städten, aber auch
auf dem Land errichtet.

Diese oft überdimensionierten Bauwerke zerstören die ländlich
gewachsenen Strukturen und sind ein Schandfleck für die Landschaft.
„Die Revitalisierung der mehr als 40.000 Hektar leerstehenden
Immobilien ist das Gebot der Stunde. Als Finanzmanager, der aus der
Wirtschaft kommt und ständig mit den zunehmen­den Naturkatastrophen
konfrontiert ist, habe ich keine Berührungsängste mit dem Wort
‚Nachhaltigkeit‘. Im Gegenteil: Ökologische, ökonomische und soziale
Interessen ergänzen sich – vernünftig eingesetzt – miteinander. Die
Natur braucht uns nicht, wir aber brauchen die Natur. Andernfalls
werden uns unsere Enkel und Urenkel später im doppelten Sinn sagen:
Warum habt ihr uns damals unsere Zu­kunft verbaut?“, bringt es
Weinberger auf den Punkt.

Schneider: Bodenversiegelung kostet Arbeitsplätze – nicht nur in
der Landwirt­schaft

Die im Jahr 2017 verbaute landwirtschaftliche Fläche pro Tag
entspricht einer Grö­ße von rund 248 Einfamilienhäusern. Aus einer
national-ökonomischen Perspektive ist der Bodenverbrauch in
Österreich dabei vor allem aus zwei Gründen äußerst negativ zu
beurteilen:

Erstens reduziert die Bodenversiegelung die landwirtschaftlich
nutzbare Fläche und damit einhergehend kommt es für immer zu einem
Verlust von Wertschöp­fung und Beschäftigung – und das nicht nur in
der Landwirtschaft. Denn durch die wirtschaftliche Verflechtung der
Landwirtschaft mit den anderen Wirtschaftssek­toren diffundieren die
Verluste in die gesamte Wirtschaft. „So summieren sich in nur zehn
Jahren die Verluste an Wertschöpfung auf 216,0 Millionen Euro.
Weiters gehen in Summe 14.920 Vollzeitarbeitsplätze bzw. knapp 20.000
Arbeitsplätze verloren. Davon verlieren alleine in der Landwirtschaft
rund 9.000 Personen ihren nachhaltigen Job“, so die Studienautoren
Schneider und Mag. Stefan Jenewein. Zweitens macht die
Bodenversiegelung Hochwasserschutzmaßnahmen notwendig:
Naturkatastrophen, wie Hochwasserereignisse, sind mit größeren
Folgeschäden verbunden, da verbaute Böden kein Wasser aufnehmen
können. Das bedeutet, dass ein Teil der Ausgaben für
Hochwasserschutzmaßnahmen auf die Bodenver­siegelung zurückzuführen
ist. Ohne Bodenversiegelung müssten also weniger Mittel für
Hochwasserschutzmaßnahmen aufgebracht werden. Stattdessen könn­ten
diese Mittel alternativ für stimulierende und langfristig
wachstumssichernde Maßnahmen, wie etwa Investitionen in Infrastruktur
oder Bildung, aber insbeson­dere auch in monetäre Anreizsysteme für
die Revitalisierung der mehr als 40.000 Hektar leerstehender
Gewerbe-, Industrie- und Wohnimmobilien genutzt werden. Von Schneider
und Jenewein in Zahlen ausgedrückt: „Werden diese Mittel ander­weitig
eingesetzt, so sind damit positive Effekte auf die Wertschöpfung in
Höhe von jährlich bis zu 83,7 Millionen Euro verbunden. Darüber
hinaus können dabei Jahr für Jahr bis zu 1.125 Jobs gesichert
werden.“

Schwarz: „Umweltbischof“ für ökologische Steuerreform

Eine ökologische Steuerreform und eine konsequente Umsetzung der
Klima- und Energiestrategie sind aus Sicht von Österreichs
„Umweltbischof“ vordringliche Aufgaben. Generell ist der ungezügelte
Verbrauch mit Blick auf einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen
einzudämmen. Um nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt zu
hinterlassen, muss es angemessene Anreize geben, den
Ressourcenverbrauch zu begrenzen. „Die Generationengerechtigkeit ist
derzeit nicht gegeben, zumindest nicht in den Bilanzen“, so Schwarz.
Ein großer Höhepunkt der zahlreichen Verlautbarungen der Kirche zu
Fortschritt und Entwicklung, Schöpfung und Nachhaltigkeit seit dem
Zweiten Vatikanischen Konzil war das vor zwei Jahren veröffentlichte
Papstschreiben „Laudato si“. Im Gefolge der „Umweltenzyklika“
beschloss die Österreichische Bischofskonferenz ambitionierte Ziele
im kirchlichen Bereich zu den Themen Nachhaltigkeit, Energie­wende
und ökosoziale Beschaffungsordnung. Diese werden nun Schritt für
Schritt in den Diözesen umgesetzt. „Grundsätzlich gilt:
Schöpfungsverantwortung ist eine Programmatik, ein Auftrag. Es ist
auch mit einem Perspektivenwechsel verbunden: Optimierung statt
Maximierung, Effizienz statt Wachstum, Generationengerechtig­keit
statt kurzfristigem Erfolg“, skizziert Schwarz das Papstschreiben.

Bestehende Steuervorteile für den Flug- und Schiffsverkehr sollten
nach Ansicht von Schwarz national und international abgeschafft
werden. „Flugverkehr und Schiffstransport verursachen viel Schaden,
und sie sollen reduziert bzw. nach öko­logischen Gesichtspunkten
umgestaltet werden. Kostenwahrheit durch Abschaf­fung der
steuerlichen Begünstigungen würde viel Klarheit bringen“, führt
Schwarz seinen Blickwinkel aus, und spricht auch von einer
ökologischen Steuerreform: „Niedrige Preise von Rohstoffen und
Energie im Allgemeinen untergraben Ener­gieeinspar- und
Effizienzbemühungen und begünstigen umweltschädliches Ver­halten.
Eine Ökologisierung des österreichischen Steuersystems ist ein
zentrales Instrument, um diesen Trends entgegenzuwirken“. So können
etwa durch höhere Besteuerung von fossilen Rohstoffen
Energiesparmaßnahmen und der Umstieg auf erneuerbare Energieträger
attraktiviert werden, so Schwarz, gleichzeitig könnte eine
Verringerung der Steuern auf Arbeit ebenfalls für mehr Ausgleich
sorgen. „Verantwortung für unseren Lebensgrund, unsere Erde, unseren
Boden muss eine Querschnittmaterie durch alle Politikbereiche, durch
unser aller Leben und Alltag werden. Als Umweltbischof betone ich
immer, dass Fortschritt und Technik sich nicht gegen den Menschen
wenden dürfen. Bodenverschwendung ist Schöp­fungsraub, hier gilt es,
den zunehmenden Platzbedarf einer konsumierenden Welt kritisch im
Auge zu behalten“, so Schwarz mit Blick auf das Thema der
Pressekon­ferenz.

Haiden: Wann ist Schluss mit immer mehr?

Der immense, unkontrollierte Bodenverbrauch widerspiegelt unseren
verantwor­tungslosen Umgang mit unseren Ressourcen. An den Rändern
vieler Orte machen sich auf bestem Ackerland Supermärkte mit
überdimensionierten Parkflächen breit, während die Ortskerne
zunehmend veröden. Betriebsareale und Sportstät­ten werden ebenfalls
auf die grüne Wiese gesetzt. Ein konkretes Beispiel ist der
Mühlviertler Ort Hellmonsödt: Eine Nordic Arena ist geplant, ein
ganzjährig be­triebenes Langlauf- und Biathlonzentrum. Auf nicht
einmal 800 Meter Seehöhe müssen die Schneekanonen gleich mit
inventarisiert werden. Fast zehn Hektar Ackerland, davon drei Hektar
Wald, sollen umgewidmet und verbaut werden. Man will die Linzer
anlocken. Noch führen nur schmale Güterwege und praktisch keine
öffentlichen Verkehrsmittel zum Ort, wo die Brettln angeschnallt
werden (sollen). Das verbindet die Nordic Arena mit dem geplanten
LASK-Stadion am Pichlinger See. Dort will man 11Hektar Grünland für
die Fußballfans zubetonieren. Argu­mente gibt es viele: Förderung des
Sports, Tourismus, Aushängeschild für was auch immer. Ja, und
natürlich: Arbeitsplätze! In der Nähe von Grieskirchen hat ein
Unternehmen 16 Hektar Grünland für das eigene Wachstum im Visier, in
Leonding stehen 30 Hektar Grünland für Firmen und Wohngebäude zur
Diskussion. Für alles gibt es gute Argumente. Nur das wichtigste
zieht im Einzelfall nicht: Wann ist es genug mit dem Verbauen des
Landes? Fruchtbares Land wird für immer versiegelt. Der
Individualverkehr, der das Klima schädigt, intensiviert. Die auf den
ersten Blick für einzelne Unternehmen billigsten Lösungen werden von
der öffentlichen Hand ermöglicht. Die Folgekosten werden nicht
berücksichtigt. Kurzfristig zu erzielen­de Steuereinnahmen zählen
mehr. Das Gemeinwohl wird so nachhaltig belastet. Es scheint niemand
zu geben, der das übergeordnete Interesse Österreichs und seiner
Menschen vertritt.

„Wir sind aber nicht nur uns selbst, sondern auch den nächsten
Generationen verpflichtet und der Schöpfung an sich. Deswegen muss
man klar sagen, was die­ser Umgang mit Bodenverbrauch bedeutet: Die
Vernichtung unser aller Lebens­grundlage, aber insbesondere jener der
nächsten Generationen, unserer Kinder und Kindeskinder. Nicht nur
weil verfügbares, fruchtbares Ackerland immer noch weniger wird,
sondern weil die daraus folgenden Schäden für Klima, Umwelt und
soziale Struktur ruinös sind. Zu fordern sind nachhaltige
Entwicklungskonzepte in der Raumordnung, die Bodenverbrauch, Klima,
Verkehr und soziale Infrastruk­tur verflechten, klare Verpflichtung
von bodenverbrauchenden Unternehmen und Organisationen zu effizienter
Nutzung und allfälligen Kompensationen, sowie eine „Anwaltschaft des
Bodens“ in Umwidmungsverfahren“, fasst Haiden die Auswir­kungen und
mögliche Lösungsansätze zusammen.

Wann ist das Ende der guten Gründe erreicht?

Wenn es für jeden Hektar Verbauung gute Gründe gibt, wann ist dann
das Ende der guten Gründe erreicht? Wahrscheinlich erst, wenn alles
verbaut ist. Wie und wohin wachsen wir anschließend? Und wo kommt
dann unser Essen her und wie schaut es aus? Kommt es aus 10.000
Kilometer Entfernung, ist es gentechnisch verän­dert und wieder auf
Kosten des Regenwaldes produziert? Faktum ist: Ackerland und
Grünflächen sind, einmal versiegelt, für immer tot. „Bei der
gegenwärtigen Situation hängt ein Damoklesschwert über unserer
autonomen Grundversorgung. Jede Bürgerin und jeder Bürger ist nämlich
der erste und größte Verlierer beim Bodenverbrauch. Der Masterplan
für den ländlichen Raum, aufgenommen in das Programm der
Österreichischen Bundesregierung, ist ein Gebot der Stunde.
Intelligente Volkswirtschaften setzen sowohl auf Ökologie als auch
auf Ökonomie. Wir müssen daher in unserem täglichen Tun und Handeln
uns stets die Worte von Papst Franziskus in seiner Umweltenzyklika
‚Laudato si‘ vor Augen halten: ‚Welche Art von Welt wollen wir denen
überlassen, die nach uns kommen, den Kindern die gerade aufwachsen‘“,
so die Podiumsteilnehmer abschließend.

Österreichische Hagelversicherung VVaG
Dr. Mario Winkler
Pressesprecher
+43 1 403 16 81-42
m.winkler@hagel.at

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